„Diese Stille – weißes Todesraunen fallenden Schnees. Es gibt keine schönere Musik als das Pochen der weichen Berührung dieser dicht gesponnenen Tropfen, die die feuchte, nächtliche Erde kosen. Mach mir die kleine Katze, flüstere ich ins Kissen, und ich höre Andreas´ genießerische Zunge miauend an meinem Ohrläppchen und meinem Hals lecken. Ich stöhne, genüsslich an die Wand gepresst, und Andreas kichert mir das Kichern der bösen Hexe zu, das mich immer zum Lachen bringt, und bedeckt mich mit seinen Küssen.“
Rasch wird deutlich, worum es in diesem Roman in fünfzehn Episoden geht: um eine stilistisch schöne Sprache, um Bilder, die sich jeder gut vorstellen kann, um Sehnsucht, um die Liebe, die jeder sich erhofft. Doch selten ist sie zu sehen wie hier, in ihrer genussvollen Variante. In allen Geschichten steht eine Figur im Mittelpunkt, die sich unglücklich in jemanden verliebt – teilweise genießt sie kurze Zeit das Glück in der Zweisamkeit, um dann abermals verlassen zu werden. Teilweise allerdings wird die zerstörerische Sehnsucht nicht gestillt. Im Ersten Teil des Romans taucht hin und wieder Jossi auf, der sich unsterblich in einen jungen Mann verliebt, der in einem Kibbuz arbeitet. Es ist ein ständiges Hin und Her. Zunächst kann der Angebetete nicht damit aufhören, sich im Park oder sonst wo mit Zufallsbekanntschaften herumzutreiben, dann tut er sich mit einer Frau zusammen, um sie später zu heiraten und Kinder zu kriegen. Doch insgeheim lässt ihn die Liebe zu Männern und insbesondere zu Jossi nicht los. Dies geht vielen Figuren so: sie sehnen sich nach Menschen, die unerreichbar sind, egal ob es mit Konventionen, mit dem eigenen Status oder eigenen Moralvorstellungen zu tun hat. Dies ist übrigens auch die Verbindung zum zweiten Teil, bei dem man sich in den ersten drei Kapiteln fragt, was dieser mit dem ersten Teil zu tun hat.
Der Park Tel Avivs, in dem gecruised wird, gibt dem Buch den Titel:
„Viele einsame, durstige Menschen treiben sich dort wie blinde Falter zwischen den Bäumen herum. Wie oft habe ich mir geschworen, dass ich auch in den schwersten Augenblicken nicht mehr an diesen fürchterlichen Ort gehen werde, aber Wahnsinn und Lust haben mich besiegt. Ich laufe dort mit all diesen Menschen zwischen den toten Bäumen herum, die Sonnenbrille habe ich trotz der Dunkelheit auf. Dies ist ein Garten, in dem nichts wächst und gedeiht; es ist der Garten der toten Bäume.“
In schonungsloser Offenheit beschreibt er die kleinen Niederlagen, die Selbstbetrügereien, die Scham, das schlechte Gewissen, die kurzfristige Befriedigung, die bald nachlässt und noch trauriger macht. Der Melancholiker, so sagten bereits die alten Griechen, ist wollüstig. Doch er merkt bald, dass nach der schnellen Befriedigung eine noch größere Leere entsteht.
„Fremde, die sich aus der großen Stadt auf die stillen und bösen Wege des Parks flüchten, um zu finden. Um was zu finden? Sie wandern zwischen den Bäumen umher, suchen, fragen: ‘Verzeihung, wie spät ist es?’, prüfen den Körperbau im Licht einer Laterne, ziehen sich zurück, sie senken ihre Stimme und flüstern ‘Willst du?’ Sie räuspern sich, und von der Stille beschämt lassen sie sich wieder von der Dunkelheit verschlucken, oder sie flüchten zitternd vor Erwartung an den Fuß der Mauer oder zu den Kalknischen, die zum Strand blicken, lassen die Hose herunter, nach Haut und Fleisch verlangt es sie, und hinterher sagen sie: Okay, man sieht sich‘’, kehren um und suchen und finden nicht.“
Nein, seine Episoden sind selten positiv, selten hat man was zum Lachen. Da ist Jossis Mutter traurig, weil er nicht heiraten möchte. Da ist der junge Soldat, den er auf der Straße kennenlernt, der sehr sexy ist, und von dem er vermutet, dass der ihn nur ausrauben wollte und zwar eine wertvolle Statue aus Jossis Zimmer entwendet hat, deren fehlen er nach dessen Besuch bemerkt. Da ist der Professor, der in seinen Studenten vernarrt ist, ihm tausend Briefe schreibt, auf ein Zeichen wartet. Da ist der Arzt, der homosexuell ist, seit Jahren mit einer Frau verheiratet, eine Tochter hat. Und der plötzlich von einem jungen Mann verfolgt wird und seine alten Sehnsüchte aufkommen sieht. Doch die Geschichten haben manchmal kuriose Wendungen, die dann doch das eine oder andere Mal ein Schmunzeln hervorlocken.
Nein, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass man dieses Buch nicht lesen dürfe, im Gegenteil: zu schön ist die Sprache:
„Und dann sprangen plötzlich vom Meer ein paar weiche Wolken herbei und wickelten sich um den Rand des Himmels. Das stechende, gnadenlose Licht erbarmte sich, fühlte sich angesichts dieses Anblicks beschämt und wurde dunkler, und eine gespannte Erwartung war in der Luft, als könnte jeden Augenblick ein wohltuender Regen niedergehen.“
Und der Inhalt ist zu wahr:
„Allein wie immer lief ich durch die dunklen Straßen, und dieses Etwas kicherte boshaft in mir, bis ich eine süße Gelassenheit spürte, seit langem vertraut, die Gelassenheit der Einsamen. Allein lief ich durch die Straßen dieser Stadt, in der kein Wind weht, um ihren nächtlichen Durst zu mildern…“
Es tut, was ein gutes Buch tun soll: das innere Eismeer zerteilen. Ja, das kann es. Aber am Ende möchte ich auch ein Schmankerl bringen, denn manchmal lädt das Buch auch zum Träumen und Phantasieren ein, zum Beispiel, wenn es im Internat spielt, in der Kindheit von Jossi.
„Siko ließ den Kopf auf die Stuhllehne zurückfallen (der Ventilator blies lange Locken aus seiner Stirn), fing meine Finger und näherte sie seinem Kopf. Ich strich mit den Fingern durch sein dichtes Haar, griff mit der Hand diese weichen Strähnen, und Siko wand sich voller Genuss. Er schaute unruhig zu den Fenstern der Klasse, ich flüsterte ihm zu: ‘Niemand sieht uns.’ Dann ließ er seine Hose herunter, spuckte in meine Hand und befahl mir mit heiserer Stimme: ‘Hör nicht mit den Haaren auf!’ und nach einer oder zwei Sekunden seufzte er auf, heftete einen gequälten, von reue zerfressenen Blick auf seine Handfläche. Ich stellte alles an seinen Platz zurück und versprach ihm, dass ich nie, niemals irgend jemandem etwas erzählen würde.“
Im Übrigen macht er das gleiche bei all seinen engen Freunden, Gilad denkt dabei an eine Frau namens Aviva und Tomer mit dem großen Glied verwöhnt er in der dunklen Dusche. Nach Jahren trifft er sie wieder. Gilad sagt: Wie schön es damals war! Und Jossi lernt am Ende den schwulen Bruder von Gilad kennen.
Der Roman „Der Garten der toten Bäume“ von Jossi Avni ist 2006 neu als Taschenbuchausgabe im Männerschwarm Verlag erschienen, umfasst 200 Seiten und ist für 10 Euro im Fachhandel erhältlich.