Dieser zweite Frölich-Roman des 1953 in Münster geborenen Michael Merschmeier spielt in der glamourösen Kunst- und Modeszene, überwiegend in Berlin, aber auch in Paris und London. Der hochtalentierte Maler und Society-Liebling Daniel Brisk, der der Sohn eines Berliner Senators ist, wird in seinem Kreuzberger Atelier erschlagen. In seiner Wohnung werden vom schwulen Kriminalkommissar Frölich Fälschungen alter Meister gefunden, und in seinen Konten hohe Summen von einem Schweizer Nummernkonto. Die Spur führt unter anderem zum Imperium der Mode-Designerin Laureen Dashwood, die später einem mysteriösen Unfall zum Opfer fällt. Zahlreiche Figuren aus der Berliner Kultur-Szene tauchen auf, darunter der Berliner Finanz-Senator Brisk, der schwule Vorsitzende der Liberalen Gebhardt Südermann, der Regierende Bürgermeister, und natürlich die Modeschöpferin Dashwood, die allesamt als Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten betrachtet werden können. Doch in diesem Roman geht es um mehr als um Kriminalistik oder um Glamour. Auch das private Leben des Kommissars, dessen Beziehung zu einem Schauspieler, der zurzeit der Handlung in Paris einen Film dreht, das schwule subkulturelle Leben in Berlin und die Auseinandersetzung mit modernen Beziehungsmustern bei homosexuellen Paaren spielen eine große Rolle. Träume, die jedes Kapitel beschließen, lassen den Leser noch tiefer in die Geschichte eindringen und vor allem in die vorbewusste Gedankenwelt des Hauptakteurs.
So ist dieser Krimi ebenso eine Art Liebesroman oder vielleicht genauer Beziehungsroman. Der auktoriale Erzähler äußert oft Rezepte und Kommentare zum Verhältnis des Kommissars zu seinem Geliebten.
„Wenn man sich nur selten sah, musste man einander genau dann begehren wollen und auch sehr glücklich sein. Das war ihnen gelungen. Ohne ersichtliche Anstrengung, ohne allzu große Verbiegung, so schien es Frölich. Sie kannten sich lange genug, um freundlich miteinander zu sein.“
So positiv bleibt die Beurteilung ihrer Beziehung im Laufe des Romans nicht. Schon ein wenig später in diesem zweiten Kapitel zeigt sich zunächst noch in ständigen erotischen Träumen mit anderen Männern, danach in handfesteren Erfahrungen in der Szene, dass die Beziehung brüchig ist.
„Er musste sich fassen. Es war ein schweres Los, immer zwischen den Zeilen lesen zu sollen – und zu können. Wurde er dafür bezahlt? Im Beruf ja, aber im Leben? Natürlich liebte er Wolfgang. Natürlich liebe ich Wolfgang. Aber seit ein paar Tagen habe auch ich meine Augen verdächtig oft woanders. Er schloss die Augen. Er wollte nie so werden wie all die anderen, die auch nicht so sein wollten wie all die anderen.“
Gerade der letzte Satz: „Er wollte nie so werden wie all die anderen, die auch nicht so sein wollten wie all die anderen“ fasst in einem Satz ein Gefühl zusammen, das viele Homosexuelle heutzutage haben. Letztendlich scheinen doch die meisten genauso zu werden, wie sie einst nicht werden wollten. Gibt es keinen Ausweg? Merschmeiers Frölich zumindest geht schließlich doch den Weg, den er ursprünglich niemals gehen wollte.
„Einen Ricard später bereute er seinen Entschluss. Vor der Szenekneipe, die sich seit Jahren beständig als In-Place behauptete, war eine schwule Jeunesse dorée versammelt, die nicht auf ihn oder irgendwen, sondern nur darauf wartete, eine Stunde später nebenan im Tom´ s und sonst wo Pornos auf Großbildschirmen anzuschauen und dann und wann einen Abstecher in den Darkroom zu machen. Danach war ihm jetzt nicht und eigentlich nie. Frölich fragte sich, wie es wäre, auf diese Subkultur-Orte fürs Flirten oder Anmachen tatsächlich angewiesen zu sein. Aber er hatte Wolfgang – und der hatte eine Affäre… Zwei Stunden später verließ Frölich das Tom´ s. Er fühlte sich miserabel.“
Wer jetzt noch nicht verstanden hat, warum, der wird ein paar Seiten später mehr verstehen.
„Der Mann hatte einen kahlrasierten Schädel und sehr schwarze, sehr dünne Augenbrauen. Auf dem rechten Arm hatte er eine Tätowierung, einen schwarzen kettengliedrigen Reif. Das könnte zum Beispiel der Mann sein, der ihm letzte Nacht im Keller – Frölich verbot sich jeden weiteren Gedanken.“
Aber auch andere Figuren wie der Mann von Laureen Dashwood, Raphael Reifberger, der eine Affäre mit dem Ermordeten, Daniel Brisk, hatte, denkt neben seiner Kunst nur an das Eine, z.B. im Flugzeug:
„Er erinnerte sich wehmütig, dass früher, vor dem 11. September, ein Quickie auf der Bordtoilette mit dem blonden Stewart, der ihn hemmungslos anhimmelte, das Normalste von der Welt gewesen wäre. Jetzt gab es stattdessen Orangensaft oder Champagner und ein Schoko-Croissant und viele vielsagende Blicke.“
Nein, nicht nur Liebe und Sex spielen in diesem Roman eine Rolle, man lernt auch viel aus der Kunst- und Modeszene kennen. Der Autor Merschmeier hat gut recherchiert und bringt uns, den Lesern, eine Menge neuer Dinge nahe, mit denen wir uns vielleicht noch nie befasst haben. Er lässt dabei viele interessante Nebenfiguren aufleuchten, die nicht nur spannende Informationen bieten, sondern sehr interessante Persönlichkeiten darstellen. Meine Lieblingsfigur ist der Vorgesetzte von Frölich, der Werner Sommer heißt und sich einer umständlichen und gleichzeitig amüsanten Ausdrucksweise bedient:
„»Liebe Kolleginnen«, begann er seine diesmal politisch korrekte Ansprache, »nach ein paar Tagen im Tal der Ruhe bläst uns der Wind wieder ins kriminalistische Gesicht. Vor jedem Frühling vollendet sich bekanntlich immer noch ein Winter, und gestern wurde in Kreuzberg ein Künstler in seinem Blut aufgefunden, wie es nur je ein grausames Bild zeigen kann – man denke nur an Goya zum Beispiel. Wovon ich rede: Daniel Brisk, ein junger Maler, der eben an der Akademie diplomierte mit Glanz und außerdem der Sohn unseres Herrn Finanzsenators ist, wenn der auch ein ganz Roter ist, der Vater. So bleibt die Tatsache: Er wurde, soweit es die ersten Erkenntnisse berichten, ermordet, der Sohn also, mit einem schweren Gegenstand, wie es unter uns heißt.«“
Die Sprache ist dem Autor sehr wichtig, insbesondere versucht er immer wieder spannende ungewöhnliche Sätze einzuflechten:
„Die Grappaflasche blickte ihn vorwurfsvoll an, denn sie war zu einem Drittel geleert.“
„Als für andere junge Menschen die Disco oder das Fitness-Studio zu Orten des Flirtens und der sozialen Kontakte wurden, blieb Frölich bei Cafés, Restaurants und Hotelhallen. Da konnte er mit den Augen flanieren, ohne gleich eindeutig zu flirten, und aus der Uneindeutigkeit, mit der sich Blicke kreuzten und wieder trafen, ließen sich langwierige Abenteuer spinnen.“
Einfallsreich sind ebenso die Überschriften: Vom Fisch essen, der den Wurm verzehrte, der einen König aß; oder: Der Mord, hat er schon keine Zunge, spricht mit wunderbarer Stimme; oder: Nur reden will ich Dolche, keine brauchen. Dies sind Anspielungen und Zitate aus der Literatur, wie sie Merschmeier auch innerhalb des Textes verwendet. In Bezug auf Hesses Siddhartha z.B.: Warten, denken, recherchieren. Es versteht sich von selbst, dass das Fasten bei Frölich ersetzt wird, da Essen ein wichtiger Bestandteil seines Lebens ist. Eine große Frage für ihn: wie kann ich gleichzeitig genießen und einen ästhetischen Körper haben. Der Körperkult ist sehr wichtig für die Personen dieses Romans. Der Körper entscheidet über den Marktwert, gerade auch bei Schwulen. So kommt das Thema Fitness-Studio immer wieder zur Sprache, beispielsweise am Ende, wenn Frölich sich ein wenig in den Firmenboss Chrysler verliebt, einem Modedesign-Guru, dem natürlich körperliche Schönheit sehr wichtig ist. Der Erzähler dieses Romans legt sehr viel Wert auf äußere Schönheit, insbesondere wenn er die einzelnen Personen dieses Romans charakterisiert. Alle müssen schön und reich sein, sogar die Polizisten, wie z.B. Weitkamp, ein Kollege von Frölich:
„Er war hübsch, intelligent, charmant, inzwischen auch wohlhabend, aber vielleicht hatte er einfach den falschen Beruf für die richtige Liebe.“
Verbesserungsfähig sind allenfalls die Dialoge, die mir manchmal zu hölzern und zu konstruiert klingen. Aber insgesamt garantiere ich eine Menge Lesevergnügen, viel Spannung, aber auch neue Impulse zum Nachdenken, gerade was unsere schwule Subkultur angeht.
Der Roman „Frölichs freier Fall“ von Michael Merschmeier ist in einer schönen Taschenbuchausgabe beim Deutschen Taschenbuch Verlag, dtv, erschienen, und kostet vierzehn Euro.