In diesem Roman aus der Reihe Sex and Crime geht es um Marek, einem jungen Mann, der nach dem Abitur Reißaus von zu Hause nimmt, um zu seinem etwas älteren Freund zu ziehen. Dort angekommen erlebt er eine böse Überraschung: sein Geliebter hat sich einen Stricher mit nach Hause genommen. Marek flippt aus, prügelt den Kleinen, und ab da beginnt ein böser Alptraum für ihn, der „Schlimmer geht’s immer“ zu betiteln ist. Dabei kreuzt sein Weg den des Türken Sayan, der sein Gefährte auf diesem fürchterlichen Road Trip wird.
Alex Seinfriend hat einen autobiografischen Roman abgeliefert, der davon erzählt, wie es dazu kam, dass er im Gefängnis landete. Aber er wirft meiner Meinung nach auch Fragen auf: zunächst wie das Leben von schwulen Migranten in Deutschland aussieht, dann wie man mit Klischees in der Literatur umgeht. Das erstere ist gerade das Titelthema unserer Lieblingszeitschrift „gab“ und auch wir berichteten bereits mehrmals über dieses Thema, interviewten Bali Saygili vom LSVD, der auch in dem Artikel der „gab“ zitiert wird, führten ein Gespräch mit dem Mr. Gay 2004, ebenfalls ein schwuler Migrant. Der erzählte uns, dass erst durch seine Wahl bekannt wurde, dass er schwul ist, und dass es in der Türkei Riesenberichte über ihn gab, die ihn positiv darstellten und voller Stolz von seinem Sieg erzählten. Was zum Zweiten führt: es gibt Gegenbeispiele. Unser Mr. Gay Suat Bahceci hat nun ein besseres Verhältnis zu seiner Mutter und kann seinen Sieg nun in Geld und berufliche Weiternetwicklung ummünzen. Sayan hingegen, der anfangs als Heterosexueller skizziert wird, der seine Freundin zum Leidwesen seiner Familie nicht heiraten möchte, muss immer wieder mit Vorurteilen kämpfen, ganz nach dem Motto: mein Sohn soll lieber tot als schwul sein. Sicher, das gibt es bestimmt in Deutschland. Schwule Türken, die es schwer haben, sich in ihrer Community zu outen, einfach weil sie sich dann mit enormen Schwierigkeiten, mit sozialer Ächtung und dergleichen herumzuschlagen haben. Daher liegt es nahe, solche Dialoge in diesen Roman einzubauen. Doch darin liegt auch eine Gefahr.
„Sayan antwortete nicht. Er wollte seinem Vater nicht sagen, dass er sich nicht türkisch fühlte. Er war in Deutschland geboren und aufgewachsen. Damit war er Deutscher, ganz einfach. Aber sein Vater, dessen Herz noch immer für die Türkei schlug, würde das niemals verstehen. Seit über dreißig Jahren lebte er nun in einem fremden Land und kannte kaum ein paar Worte der Landessprache.“
Schauen wir uns diese Worte des Autors an: dieser Absatz trieft vor Gemeinplätzen. Dies passiert allzu leicht, wenn man Klischees benutzt. So muss dies sein. Der Sohn ist Deutscher, weil er hier geboren wurde. Und der Vater kann auch nach so langer Zeit kein Deutsch, ist intolerant und dogmatisch. So haben wir das gerne. Das ist leicht. Lasst uns über diese intoleranten Muslime schimpfen. Dass sich Immigrantenjugend-liche meist weder als „nur Deutsch“ noch als „nur Türkisch“ fühlen, überlassen wir den Soziologen, die den schönen Begriff des „Dritten Stuhls“ geprägt haben. Bleiben wird doch lieber bei unseren Klischees. So hält dies der Autor den ganzen Roman über durch, er konstruiert zwei Gegenpole und lässt die Personen das sagen, was einfach da hineinpasst. Die Familie ist das Wichtigste. Sie ist oberstes Gesetz. Familienehre. Ja, es stimmt: es gibt eine andere Definition von Ehre im Türkischen, im Grunde genommen gibt es sogar drei verschiedene Begriffe für die Ehre, so ausdifferenziert ist diese und so eine große Bedeutung wird ihr beigemessen.
So beschmutzt Sayan natürlich die Familienehre, was ausführlich erzählt wird. Alles führt darauf zu, dass Sayan letztendlich tatsächlich etwas mit Marek anfängt. Und das dürfen wir in unerträglich dumben Dialogen miterleben. Wem es Spaß macht! Die Frage, die sich stellt, ist, welche Aufgabe Literatur hat. Soll sie Feindbilder noch verstärken mit ihren Beschreibungen von „anderen Verhaltensweisen“? Ist nicht eher das Vermeiden von Klischees zu vermeiden? Oder falls man sie verwendet, dieses kritisch reflektiert oder mit diesen gespielt wird. Die Frage an dieses Buch ist im Anschluss zu stellen: ist es denn überhaupt Literatur? Natürlich: denn es ist Fiktion, es wird eine Geschichte erzählt. Aber ist es auch eine Literatur mit einem Anspruch? Sicher nicht! Aber auch anspruchslose Lektüre muss es geben. Und manchen macht das mehr Spaß. Mir fehlte dieser in diesem Roman.
Der Roman „1 Trip 2 Kill“ von Alex Seinfriend ist 2005 Himmelsstürmer Verlag erschienen, umfasst 233 Seiten inklusive Produktionsnotizen und ist als Taschenbuch für vierzehn Euro neunzig im Fachhandel erhältlich.