30 Grad von Roland Gramling

 

Der Fixpunkt des Romans Frankfurt 30 Grad ist Tina Sternheims Wohnhaus in der Ackerpflaumenallee 33. Hier ist der Dreh- und Angelpunkt ganz verschiedener Großstadt-Persönlichkeiten. Roland Gramling lenkt den Blick auf ihr Suchen und Finden, auf Hoffen und Harren und ihre Träume und Triebe. Alles beginnt und endet mit Luke, einem jungen Schwulen, der von der Lüneburger Heide nach Frankfurt zieht. Ihn hat die Liebe zu seinem Jugendschwarm Samuel in diese Großstadt gezogen. Die dunkelhäutige Sarah wird in der Ackerpflaumenallee seine Mitbewohnerin. Sie ist eine Polizistin und legt gerade ihre Kommissarinnen-Prüfung ab. Sie ist Lesbe und gerade von ihrer Freundin Melanie verlassen worden. Die Wohnhaus-Besitzerin Tina Sternheim ist eine Tochter aus gutem jüdischen Hause. Sie schreibt Kinderbücher  und hat zwei Kinder. Ihr Bruder Meiko ist schwul und bedient gerne jedes Klischee. Er ist ein so genannter „Universalschwuler“. Tom ist ein früherer WG-Mitbewohner. Er ist ein Banker und Schlipsträger. Ausgezogen ist er, um mit seinem ebenso vernünftigen wie langweiligen Freund Sven zusammenzuwohnen. Wichtig sind neben diversen anderen Figuren auch Marco und Jörg, die beide im schwullesbischen Altenwohnheim arbeiten und auch zusammenwohnen. Marco ist HIV-positiv, was uns zu unserem Hauptthema der ersten Stunde heute führt…

Doch etwas hielt ihn zurück. Die Angst vor der Gewissheit. Die Furcht vor dem Tod. Schließlich gab sich Marco einen Ruck und riss in gespielter Entschlossenheit den Umschlag auf, nahm das Papier heraus und begann zu lesen. Dort stand es geschrieben. Dieses in seiner Schlichtheit so grausame Wort: positiv. Marco braucht einen kurzen Moment, um es tatsächlich zu fassen. Es. Dieses Wort. Diesen Zustand. Dieses Gefühl. Doch welches Gefühl? Er verspürte nämlich absolut nichts.

Marco liest den Brief auf dem Eisernen Steg. Ein junger Mann kommt ihm entgegen und schaut ihm kurz in die Augen und geht dann weiter. Dieser Mann ist Tom, der gerade einen Heiratsantrag von Sven erhalten hat. Sie nehmen sich nicht bewusst wahr. Erst später lernen sie sich wirklich kennen. Und lieben. Tom beginnt eine Affäre mit Marco.

„Irgendwann möchte ich, dass du in mir kommst. Ohne Gummi. Ich will es spüren“, sagte Tom. Marco sah Tom in die Augen und für den Bruchteil einer Sekunde war er bereit, ihm alles zu erzählen. Für einen kurzen Augenblick lagen ihm die Worte auf den Lippen. Doch er wagte es nicht, sie auszusprechen. Er wollte die Tatsache nicht wahr haben.

Als Marco es dann erzählt, kann es Tom nicht fassen. Er flippt aus. Was ist dies für eine Konstellation? Tom kurz vor der Heirat, Marco HIV-positiv. Gibt es eine Zukunft für die beiden?

Dies ist einer der Erzählstränge der Frankfurter Stadtgeschichten, die ganz offensichtlich dem Vorbild von Armistead Maupin folgen sollen. Luke, ein frisch geouteter Schwuler, der sich in einen jungen Mann verliebt, der scheinbar nicht schwul ist, aber trotzdem Sex mit ihm hat. Meiko, die Szenehusche, die sich in allem und jedem auskennt. Tina, alleinerziehend und in den Dreißigern, wundert sich darüber, dass sie Single ist. Doch wie soll sie adäquate Männer kennenlernen, wenn sie nur mit Schwulen und Lesben zusammen ist? Sie lernt den zehn Jahre jüngeren Jörg kennen…

Gramling, ein Journalist, der unter anderem für ein befreundetes Szene-Magazin arbeitet, beschreibt die Szene Frankfurts. Viele Orte, denen er andere ähnlich lautende Namen gibt, kommen uns allzu bekannt vor. Auch die Figuren werden sichtbar umschrieben.

Der Autor hat viel vor in diesem Roman, doch leider kann er seinem Anspruch nicht gerecht werden. Nein, er ist kein deutscher Armistead Maupin. Dem kann er das Wasser nicht reichen. Was dieser Schriftsteller in mehreren Bänden beschrieben hat, möchte Gramling gleich in einem Buch von dreihundert Seiten packen. Das ist zu viel und kann dadurch niemals in die Tiefe gehen. Solch wichtigen Themen wie das Thema „HIV-positiv sein“ bleiben inhaltsleer und werden kurz abgehandelt. Entwicklungen von Beziehungen werden in einen Zeitraum von einem Monat gepresst, wo diese doch realistischerweise erst in Monaten, meist in Jahren so gedeihen können. Menschen sind miteinander verknüpft und treffen sich dauernd scheinbar zufällig, die im wahren Leben oft keine Berührungspunkte finden würden.

Trotzdem möchte ich dieses Buch weiterempfehlen. Es ist weder inhaltlich noch sprachlich große Kunst, und doch zumindest für Frankfurter eine Pflichtlektüre. Gramling beschreibt die vielen Klischee-Figuren der Schwulenszene treffend. Manchmal ist man genervt, denn man erinnert sich an die vermeintlichen Vorbilder. Manchmal ist man aber auch amüsiert, weil man sich oder seine Freunde wiedererkennt. Man kennt die Clubs und Kneipen, man kennt die Menschen, die dort verkehren, man kennt die Verhaltensweisen, die Überspanntheiten, die Manieriertheiten. Dies ist ein Buch für die Straßenbahn und die nächste Rückfahrt von Berlin oder Köln nach Frankfurt.

Frankfurt 30 Grad vom Autoren Roland Gramling umfasst 326 Seiten, ist beim Querverlag erschienen und für vierzehn Euro neunzig im Fachhandel zu beziehen. Übrigens kann man auf der Homepage des Querverlags ein Probekapitel aus diesem Werk lesen.

 

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