Als Jonathan starb von Tony Duvert

„Als Jonathan starb“ von Tony Duvert ist eine sehr schwierige Angelegenheit. Joachim Bartholomae hat diesen Roman aus dem Französischen neu übersetzt und teilweise neu redigiert. Er war bereits 1978 ein Skandal und man kann sich fragen, ob er 2011 weniger skandalös ist angesichts der Ereignisse um die Odenwaldschule im letzten Jahr. Man kann auch die Frage stellen, ob eine unkritische Ausgabe vom Männerschwarm Verlag eine feinfühlige Sache ist. Es lässt sich bereits erahnen, welche Thematik in diesem Roman die wichtigste Rolle spielt: Pädophilie. Die Hauptfiguren sind der zu Anfang des Buches fünfundzwanzigjährige Künstler Jonathan, der sich in einem Domizil in der Provinz Frankreichs eingerichtet hat, und Serge, der sechsjährige Sohn einer Bekannten. Schon bei ihrem ersten Zusammenkommen in Paris bemerkt die Mutter Barbara, dass ein inniges Verhältnis zwischen ihnen aufkeimt. Sie verbietet den Kontakt, um sich dann zwei Jahre später bei Jonathan zu melden und ihn darum zu bitten, Serge eine Weile bei sich aufzunehmen. Aus der einen angekündigten Woche werden zwei Monate, in denen sich Barbara hippiemäßig auslebt, während Jonathan und Serge miteinander essen, spielen und nicht nur in einem Bett schlafen, sondern auch „Sex miteinander haben“. Sie führen quasi eine Beziehung. Die Mutter nimmt ihn wieder mit. Für Jonathan beginnt die schlimmste Phase seines Lebens, er verzehrt sich nach dem Jungen. Wieder zwei Jahre später erleben die beiden Protagonisten wieder eine solche Phase, in der sie eine „Beziehung“ führen. Doch erneut wird der Junge gegen seinen Willen zurückgeholt. Er möchte wieder zu seinem Jonathan zurück und büxt von zuhause aus, doch wird er jemals bei Jonathan ankommen?

Just vor zwei Tagen schockte mich eine Bekannte mit einer Bemerkung über sexuellen Missbrauch bei Jungen: Sie glaube nicht daran, sie habe noch nie einen missbrauchten Mann kennengelernt. Sie halte sich an die Antike, an die dort beschriebene Knabenliebe – die philosophisch erhöht wurde. Auch Tony Duvert tut dies. Ein Mann, der in einer biografischen Schrift 1980 zugab, mit mehr als Tausend Jungen ab sechs Jahren sexuellen Kontakt gehabt zu haben. Natürlich sollte man Werk und Autor stets auseinanderhalten und vielleicht hatte dieses Buch auf irgendeine Weise seine Berechtigung in den Siebzigern. Der Zeit der sexuellen Befreiung, der Zeit, in der Kinder mehr Freiheiten bekommen sollten, nicht mehr mit Zwang und Autorität erzogen werden sollten. Da wird jeder und jede mit einverstanden sein.

 

Aber eine „Liebe“ zu einem Sechsjährigen? Diesen Jungen auch noch als denjenigen zu charakterisieren, der damit „angefangen hat“? Sind das nicht die Argumente der Päderasten: Der Junge wollte das doch? Ist das nicht etwas pervers hinsichtlich der Ereignisse der letzten Jahre, hier in Hessen an der Odenwaldschule?

 

Ich stelle nur Fragen. Ich bin für absolute Tabulosigkeit in der Literatur, so habe ich auch diesen Roman möglichst unbefangen (so weit das geht) gelesen. Stilistisch ist das Werk meisterlich, Tony Duvert ist ein vorzüglicher Autor. Die Stellen, in denen Tony Duvert von der Sehnsucht Jonathans schreibt, sind die eindringlichsten Stellen über Liebeskummer, die ich seit langer Zeit gelesen habe. Die Darstellung der Beziehung ist so fein, wie ich es seit Andre Acimans „Ruf mich bei deinem Namen“ nicht gelesen habe. Doch eine Penetration eines Achtjährigen zu beschreiben… das ist schon harter Tobak, muss ich sagen. Ich hätte Schwierigkeiten damit, es Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu empfehlen…

 

Es möge jeder und jede selbst entscheiden, ob uns ein solcher Roman gefehlt hat, der auf jeden Fall die Pädophilie verherrlicht. „Als Jonathan starb“ von Tony Duvert ist 2011 von Joachim Bartholomae nach einer Vorlage von François Pescatore neu übersetzt und redigiert im Männerschwarm Verlag erschienen, umfasst 224 Seiten und ist im Fachhandel in einer gebundenen Ausgabe für 19 Euro erhältlich.

 

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