BoyMen von Peter Rehberg

Bereits mit 21 Jahren, während seine Studiums, schrieb der Autor von „American Psycho“ Brett Easton Ellis seinen Kultroman „Unter Null“. In diesem Erstling begleitet er die Hauptperson Clay ein paar Wochen in dessen Leben in Kalifornien. Es ist von Drogenexzessen, Partys, viel Sex mit Frauen und Männern gezeichnet, von Entfremdung, Demotivation und Unlust. Clay verkehrt auf Partys, in denen Snuff-Videos gezeigt werden, in denen abgestumpfte Menschen zwölfjährige Mädchen an Bettpfosten anketten – und er und seine Freundin Blair sind die einzigen, die moralische Bedenken haben. Clay ist auch eine Figur aus dem Roman BoyMen von Peter Rehberg, quasi als Referenz wurde diese Fantasie-Gestalt in das Leben des Protagonisten Felix eingebettet. Letzterer wird bald vierzig, ist gerade dabei sich ein bürgerliches Leben aufzubauen – und zwar mit Jack, seinem Freund, der ihn dazu drängt, ein Häuschen in der Provinz zu kaufen. Doch es klappt nicht. Und Jack verlässt seinen Felix, zu unüberwindbar sind die Mauern zwischen den beiden. Und vor allem: Felix möchte dieses Erwachsenen-Leben nicht. Doch was will er überhaupt? Sein Leben als schwuler Neu-Single in Ithaca, mitten in der amerikanischen Provinz, ist öde. So ist er froh, dass er auf eine Konferenz nach Kalifornien flüchten kann. Dort möchte er sich um einen neuen Job bewerben. Doch letztendlich hat er keine Lust. Und dann trifft er auf den Clay in diesem Roman, Anfang Zwanzig, unendlich reich, Felix wird über Gayromeo akquiriert und erhält vom durchtriebenen Clay eine besondere Rolle in einem grausamen Spiel. Noch unter Schock macht sich Felix auf den Weg nach Berlin, feiert dort Partys, hat wilden Sex. Am Ende bemerkt er, dass er auch mit vierzig nicht klüger geworden ist, und lässt es einfach mit dem Erwachsen werden.

Peter Rehberg war fünf Jahre lang der Chefredakteur der Zeitschrift „Männer“, hat bereits einen Roman namens „Fag Love“ und den Erzählband „Play“ beim Männerschwarm Verlag veröffentlicht. Sein Thema ist das Erwachsenwerden. Dabei ist seine These, dass dies bei schwulen Männern noch ein bisschen anders ist als bei Heteros. Es ist ein heteronormatives Konzept, in den Dreißigern zu heiraten, Kinder in die Welt zu setzen, ein Haus zu bauen, ruhig zu werden und seinen beruflichen Weg geradeaus zu gehen. Es ist ein heteronormatives Konzept, aufs Land zu ziehen, der Kinder wegen, ein größeres Auto zu kaufen, der Kinder wegen, eine gute Schule in der Umgebung zu haben, nette Nachbarn, mit denen man im Garten grillen kann. Wie funktioniert Erwachsenwerden für Schwule? Das muss wohl jeder selbst herausfinden. In diesem Roman bietet Rehberg folgende Modelle an, wie er in einem Interview mit dem queeren Magazin Bayerns LEO sagt:

„Die einen leben in einer fester Beziehung und ziehen in einen ruhigen Vorort, andere machen Karriere oder bleiben Sexjunkie und tun so, als würde sich überhaupt nichts verändern.“

Es ist durchaus ein lesenswertes Buch, doch es hat nicht die Kraft und Präsenz eines Romans von Brett Easton Ellis, die Episode mit Clay ist dafür ein Symbol – sie ist keine Traumsequenz, aber auch kein Abenteuer, sie ist einfach eine Referenz, klug, aber nicht emotional. Es ist ein unterhaltsames Buch, aber euch eines für Zwischendurch. Die meisten Schwulen werden sich sehr gut wiederfinden, großes Identifikationspotenzial ist vorhanden. Felix ist ein Lästermaul, wie es uns ganz schön bekannt vorkommt. Und seine Mittel mit Problemen umzugehen, kennt auch jeder. Aber lest selbst: „BoyMen“ von Peter Rehberg ist im Männerschwarm Verlag erschienen, umfasst 212 Seiten und ist für 16 Euro im Fachhandel erhältlich.

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Die indonesischen Schwestern von Sandra Wöhe

Ich muss zugeben, dass ich zunächst die Befürchtung hatte, einen ähnlichen Stoff lesen zu müssen, wie den, den Sandra Wöhe in ihrem letzten Roman bzw. Hörbuch „Giraffe im Nadelöhr“ bearbeitet hatte. Dieses Werk war durchaus amüsant und technisch gut gemacht (insbesondere das Hörbuch mit der hervorragenden Nela Bartsch), aber noch so einen „Lesbenroman“, der mit Liebesszenen und Liebesgeflüster nicht gerade sparsam umgegangen ist, hätte ich mir als schwuler Mann nicht mehr geben wollen.

Umso überraschter, aber auch umso freudiger, war ich, als ich ein Buch in Händen hielt und las, das meiner Meinung nach ein sehr gut geschriebener Familienroman ist. Er handelt von einem „Frauen“-Haushalt: noch in Indonesien verstirbt überraschend der deutsche Ehemann von Phyllis, die sich dazu entscheidet, mit ihren drei Töchtern ihr Heimatland zu verlassen und in des verstorbenen Mannes´ Heimatdorf nach Nordrhein-Westfalen zu ziehen. Obgleich sie perfekt Deutsch sprechen, werden sie jahrelang als Fremde betrachtet, als die „Schlitzaugen“ in diesem Dorf, die auf Schritt und Tritt beobachtet und kommentiert werden. Die Frauen tratschen über sie, die Männer gieren nach ihnen.

Der Roman erzählt kunstfertig vier Tage aus dem Leben der Damen, beginnend drei Jahre nach Ankommen in der Stadt, als das uneheliche Kind der jüngsten Tochter auf die Welt kommt. In den nächsten drei Kapiteln wird immer ein weiterer Tag pro Jahr der Kosmos dieser starken Frauen beschrieben, mit all den Verwicklungen im Alltagsleben der Heldinnen. Ja, es ist ein Roman über Integration, vermutlich über misslungene Integration, aber nicht, weil die Heldinnen sich nicht „integrieren“ können – schließlich ist so etwas beidseitig -, sondern weil sie es nicht dürfen, es wird ihnen nicht gestattet. Eine der Töchter ist lesbisch, ja, und es wird in einer Kritik lamentiert, dass dieses Lesbischsein nicht genug thematisiert wird in diesem Roman. Phyllis, die Mutter, nimmt die Tatsache, dass ihre Tochter nun eine Freundin hat, sehr locker hin, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Doch es würde zu dieser weisen Frau, die in ihrer neuen Heimat so verloren scheint, nicht passen, ein Drama daraus zu machen. Es ist eine fein-gesponnene Erzählung mit vielen spannenden Formulierungen, die aus dem Indonesischen kommen, es ist wahrscheinlich das persönlichste Buch der Autorin niederländisch-indonesischer Herkunft, die nun in der Schweiz lebt. Die Charaktere sind nicht nur sehr nachvollziehbar, sie sind sehr sympathisch und haben einen ganz eigenen Humor. Schön ist, wie zum Beispiel Gritta, die jüngste Tochter, Kopftuch trägt wie ihre muslimische Freundin Suleika, um sich mit der zu solidarisieren, sogar für sie den Kopf hinhalten würde. Und man regt sich automatisch über diese dämlichen deutschen Nachbarn auf, wenn sie die Frauen ungerecht behandeln, so viel Identifikationspotenzial hat dieser Roman zu bieten.

Es ist absolut lohnenswert, diesen Roman „Die indonesischen Schwestern“ von Sandra Wöhe zu lesen. Er ist im Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke im Jahr 2011 erschienen. Die kartonierten 288 Seiten sind für nur 9,90 Euro im Fachhandel zu erhalten.

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Die Poeten der Nacht von Barry McCrea

Wer „Die Schatten des Windes“, den Megaseller von Carlos Ruiz Zafón, verschlungen hat, der wird auch hier auf seine Kosten kommen. Wer auch noch besonders gerne originelle Coming-Out-Geschichten liest, der muss sich „Die Poeten der Nacht“ des Iren Barry McCrea besorgen. Doch ganz von Anfang an: Der junge irische Literaturstudent und Beckett-Stipendiat Niall kommt nach Dublin und tauscht sein bisheriges Leben als Sohn aus gutbürgerlichem Elternhause mit dem Leben inmitten hedonistischer Kommilitonen ein. Diese verbringen die meiste Zeit in der Dubliner Subkultur, trinken und rauchen sehr viel. Für Niall eine fremde Welt, die er bis dahin nicht kannte, denn in den letzten Jahren konzentrierte er sich neben der Schule auf seine große Liebe Patrick, die natürlich unerwidert blieb. Der Sportler Patrick traf sich mit seinen Kumpels in Pubs, während Niall zuhause saß… Bei einem seiner ersten Kneipenabenden mit viel Alkohol wird Niall auf der Straße verprügelt. Doch er hat einen Retter, John, den er männlich und sehr attraktiv findet. Und der ihn vor allem in die Welt der „Sortes“ einführt, eine seit dem Mittelalter angewandte Methode der Wahrsagung, bei der ursprünglich in einem Vergil-Text, später in der Bibel, eine beliebige Stelle aufgeschlagen wurde und in Beziehung gesetzt wurde zu persönlichen Problemen des Fragestellers. Bei einer Party sieht er wie John und Sarah diese Methode anwenden. Die beiden Vorbilder haben jedoch keine Lust auf einen Novizen und so versucht er ihnen irgendwie zu begegnen. Doch will die Organisation „Pour Mieux Vivre“, die angeblich hinter diesem „Spiel“ steckt, ihn vielleicht sogar dabei haben? Man erfährt es nie so genau… In der Zwischenzeit macht er seine ersten Erlebnisse in der Dubliner Szene, vögelt sich quasi durch diese und ist angeblich auf der Suche nach der großen Liebe…

Zuerst glaubt Niall nicht an diese Methode, an „Sortes“, doch als die ersten zufälligen Fragen, die er stellt, schlüssige Antworten ergeben und er tatsächlich durch diese „Sortes“ Sarah und John findet, die ihn zu meiden versuchen, verfällt er diesem „Spiel“, das zu einer Sucht wird, der er sich bald nicht mehr entziehen kann. Diese Sucht bestimmt sein Leben, bis er vollkommen zusammenbricht…

Es ist ein wirklich spannendes Buch, das der 1974 in Dublin geborene Barry McCrea hier vorlegt. Er ist Professor an der Universität Yale und seine immensen literaturwissenschaftlichen Kenntnisse merkt man dem Roman sehr an. Manchmal ist es vielleicht auch zu viel des Guten, zu viele Leerstellen sind vorhanden – zumindest für Menschen, die nicht Literatur studiert haben. Manchmal fragt man sich auch, ob er sich Klischees von Iren bedient oder ob er tatsächlich alle Figuren ernst meint. Zumindest scheint es so, als würden alle Dubliner jeden Abend Bier saufen, gleich mehrere Zigarettenpackungen rauchen und sehr gesellig sein. Am liebsten möchte man sich in den nächsten Flieger nach Dublin setzen und sich Nialls Kommilitonen anschließen. Allerdings möchte man auch deswegen hinfliegen, um ihn zu schütteln, in den Arsch zu treten, weil er es schafft, einem hartnäckigen potenziellen und vor allem liebenswerten Beziehungspartner wegen „Sortes“ zu vergraulen – und zwar gleich mehrmals.

Die geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer sollen sich das Buch kaufen, deswegen verrate ich das Ende nicht, aber ich möchte etwas davor warnen: es ist eines, das man schwer interpretieren kann, vielleicht gar nicht – das sollte man beim Kauf berücksichtigen…

Erhältlich ist es zumindest im Fachhandel für 9,95 Euro – es ist im Aufbau Verlag im Jahre 2008 erschienen und umfasst 427 Seiten.

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„Mein Prinz, der Callboy“ von Hartwig Schröder

Es begann alles mit einem Blog, der die „Kleine Hafennutte“ heißt, in welchem der im letzten Jahr verstorbene Hartwig Schröder von seinem Leben als Callboy/ Stricher erzählte.

Kleine Hafennutte deswegen, weil der Protagonist seine Liebe zum Hamburger Hafen entdeckt, als er mit Andreas aus seinem kleinen Kaff nach Hamburg zieht. Hafennutte auch, weil zuerst der Freund und offensichtlich auch Beziehungspartner Andreas auf den Geschmack kommt, sich und seine Liebesdienste gegen Geld zu verkaufen. Das tut ihm die Hauptfigur nach und zwar mit sehr viel Spaß und Neugier. Dabei geht es beiden weniger um das Geld, denn Andreas hat eine Menge davon und lässt seinen Freund in der großen Wohnung nur eine symbolische Miete bezahlen. Bei beiden dreht es sich viel mehr um die Anerkennung, die sie durch andere Männer, durch deren bewundernden Blicke, durch ihr Begehren erhalten. Das bringt ihnen einen deutlichen Zugewinn an Selbstwert. Die Erfahrungen, die die kleine Hafennutte macht, die im Blog beschrieben wurden, und die sage und schreibe eine halbe Million Klicks in sechs Monaten produzierten, hat der Eichborn Verlag bereits 2009 veröffentlicht und nennt dies ein „Erzählerisches Sachbuch“. Es soll auch eine Verfilmung dazu geben.

Was ist nun der Zwiespalt, in den man geraten kann? Das Blog und das Buch sind zwei völlig unterschiedliche Medien, die jeweils ganz eigener Logik und Funktionsweise verhaftet sind. Was als Blog mit großem Erfolg funktionieren kann, das kann als Buch mitunter überhaupt nicht zur Geltung kommen. Das ist meiner Meinung nach hier der Fall. So sympathisch es mir ist, dass ein erfolgreicher Blogger in Buchform veröffentlichen darf.

Ein Blog ist meist eine Art elektronisches Tagebuch, in dem man die Gedanken, die einen umtreiben, aufschreibt, oft noch gar nicht ganz ausgegoren, mit fehlendem Abstand, mit fehlender kritischer Distanz. Ein Blog ist eine Textform, die noch mehr als ein Roman auf der Suche nach Wahrheit und Authentizität ist. Bevor man einen Roman schreibt, der literarischen Anspruch hat, muss man genau diesen Abstand und diese kritische Distanz erst einmal finden, man muss von sich selbst abstrahieren. Und vor allem muss man eindeutige Haltungen und Charakteristiken für die Figuren im Text anlegen und durchhalten, das gilt ebenso, wenn man von sich selbst schreibt. Im Blog kann man mit solchen Dingen spielen, in Romanen – und ich werte nun dieses so genannte Erzählerische Sachbuch als einen Versuch eines Romans – ist das eher enervierend, wenn es zu Widersprüchen im Text kommt. Ein Blog hat Postings, bei denen es offensichtlich ist, wann sie eingestellt wurden. Da ist schon eine Verortung und Bestimmung der Zeit geschehen. Anders in diesem Buch, das Kapitel besitzt, die offensichtlich chronologisch ansetzen. Doch sind sie in einem luftleeren Raum, wenn die erzählte Zeit und die erzählende Zeit teilweise so diffus durcheinander gehen. Daher nervt das Lesen oft einfach nur, das Erzählen wurde durch diese neue Form oftmals zu inkohärent. Es mag Leserinnen und Leser geben, denen das nicht auffällt und/ oder die keine Schwierigkeiten damit haben.

Im Internet gibt es ein Youtube –Video eines jungen Mannes, der viele Bücher rezensiert. Er wirft diesem Buch vor, nicht authentisch zu sein, er habe es auch nicht zu Ende lesen können. Was war der genaue Vorwurf? Nun, dass er dem Protagonisten nicht glaubt, dass er das Anschaffen gehen genießt, dass es ihm Spaß macht, dass er scheinbar kein Problem damit hat, in einer offenen Beziehung zu leben, in der beide Callboys sind. Der junge Mann findet genug Anzeichen, die ihm deutlich zeigen, dass dies gelogen ist, zumindest seiner Meinung nach. Die Handlungen von Psychopathen muss man in Romanen auch nicht nachvollziehen, sie müssen letztlich nur schlüssig sein. Das sind sie in diesem Roman nicht immer. Mir erscheint aber eher eine andere Aussage widersprüchlich, die der Autor selbst in einem Youtube-Video äußerte: dass er nämlich keine Geschichte schreiben wollte, in der es nur um Sex, Sex, Sex gehe. Aber wenn „Mein Prinz, der Callboy“ sich nicht um Sex dreht, worum dann? Callboys und Stricher haben Sex, permanent, und sie haben immer mit Fetischen und Perversionen zu tun, von der die Hafennutte gerne erzählt. Alles bleibt an der Oberfläche, die Beziehung zu Andreas zum Beispiel: es wird immer betont, dass sie sich alles erzählen können, nur tun sie es offensichtlich sehr selten. Die Freunde kommen und gehen. Sie sind auch nicht wichtig. Es ist nur wichtig, dass sie die Hafennutte akzeptieren und wertschätzen. Das ist das einzige Interesse der Hauptfigur. Daran bemisst sich der Wert der einzelnen Figuren, und danach wie offen sie gegenüber Homosexualität und Promiskuität sind. Keine der Figuren hat Tiefe. Bei einem Blog ist das meist zu verschmerzen, bei einem Buch von 256 Seiten nicht. Kurzweilig ist das Werk trotzdem, ich möchte keinen davon abhalten, dieses Buch zu lesen, immerhin enthält es interessante Einblicke in die Stricher- und Callboy-Szene, wenn es einen interessiert. Aber auch da ist nach der Hälfte des Buches spätestens alles gesagt…

Das Buch „Mein Prinz, der Callboy“ von Hartwig Schröder ist 2009 erschienen, umfasst 256 Seiten in Klappenbroschur und ist im Fachhandel für 14,95 Euro erhältlich.

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