Es begann alles mit einem Blog, der die „Kleine Hafennutte“ heißt, in welchem der im letzten Jahr verstorbene Hartwig Schröder von seinem Leben als Callboy/ Stricher erzählte.
Kleine Hafennutte deswegen, weil der Protagonist seine Liebe zum Hamburger Hafen entdeckt, als er mit Andreas aus seinem kleinen Kaff nach Hamburg zieht. Hafennutte auch, weil zuerst der Freund und offensichtlich auch Beziehungspartner Andreas auf den Geschmack kommt, sich und seine Liebesdienste gegen Geld zu verkaufen. Das tut ihm die Hauptfigur nach und zwar mit sehr viel Spaß und Neugier. Dabei geht es beiden weniger um das Geld, denn Andreas hat eine Menge davon und lässt seinen Freund in der großen Wohnung nur eine symbolische Miete bezahlen. Bei beiden dreht es sich viel mehr um die Anerkennung, die sie durch andere Männer, durch deren bewundernden Blicke, durch ihr Begehren erhalten. Das bringt ihnen einen deutlichen Zugewinn an Selbstwert. Die Erfahrungen, die die kleine Hafennutte macht, die im Blog beschrieben wurden, und die sage und schreibe eine halbe Million Klicks in sechs Monaten produzierten, hat der Eichborn Verlag bereits 2009 veröffentlicht und nennt dies ein „Erzählerisches Sachbuch“. Es soll auch eine Verfilmung dazu geben.
Was ist nun der Zwiespalt, in den man geraten kann? Das Blog und das Buch sind zwei völlig unterschiedliche Medien, die jeweils ganz eigener Logik und Funktionsweise verhaftet sind. Was als Blog mit großem Erfolg funktionieren kann, das kann als Buch mitunter überhaupt nicht zur Geltung kommen. Das ist meiner Meinung nach hier der Fall. So sympathisch es mir ist, dass ein erfolgreicher Blogger in Buchform veröffentlichen darf.
Ein Blog ist meist eine Art elektronisches Tagebuch, in dem man die Gedanken, die einen umtreiben, aufschreibt, oft noch gar nicht ganz ausgegoren, mit fehlendem Abstand, mit fehlender kritischer Distanz. Ein Blog ist eine Textform, die noch mehr als ein Roman auf der Suche nach Wahrheit und Authentizität ist. Bevor man einen Roman schreibt, der literarischen Anspruch hat, muss man genau diesen Abstand und diese kritische Distanz erst einmal finden, man muss von sich selbst abstrahieren. Und vor allem muss man eindeutige Haltungen und Charakteristiken für die Figuren im Text anlegen und durchhalten, das gilt ebenso, wenn man von sich selbst schreibt. Im Blog kann man mit solchen Dingen spielen, in Romanen – und ich werte nun dieses so genannte Erzählerische Sachbuch als einen Versuch eines Romans – ist das eher enervierend, wenn es zu Widersprüchen im Text kommt. Ein Blog hat Postings, bei denen es offensichtlich ist, wann sie eingestellt wurden. Da ist schon eine Verortung und Bestimmung der Zeit geschehen. Anders in diesem Buch, das Kapitel besitzt, die offensichtlich chronologisch ansetzen. Doch sind sie in einem luftleeren Raum, wenn die erzählte Zeit und die erzählende Zeit teilweise so diffus durcheinander gehen. Daher nervt das Lesen oft einfach nur, das Erzählen wurde durch diese neue Form oftmals zu inkohärent. Es mag Leserinnen und Leser geben, denen das nicht auffällt und/ oder die keine Schwierigkeiten damit haben.
Im Internet gibt es ein Youtube –Video eines jungen Mannes, der viele Bücher rezensiert. Er wirft diesem Buch vor, nicht authentisch zu sein, er habe es auch nicht zu Ende lesen können. Was war der genaue Vorwurf? Nun, dass er dem Protagonisten nicht glaubt, dass er das Anschaffen gehen genießt, dass es ihm Spaß macht, dass er scheinbar kein Problem damit hat, in einer offenen Beziehung zu leben, in der beide Callboys sind. Der junge Mann findet genug Anzeichen, die ihm deutlich zeigen, dass dies gelogen ist, zumindest seiner Meinung nach. Die Handlungen von Psychopathen muss man in Romanen auch nicht nachvollziehen, sie müssen letztlich nur schlüssig sein. Das sind sie in diesem Roman nicht immer. Mir erscheint aber eher eine andere Aussage widersprüchlich, die der Autor selbst in einem Youtube-Video äußerte: dass er nämlich keine Geschichte schreiben wollte, in der es nur um Sex, Sex, Sex gehe. Aber wenn „Mein Prinz, der Callboy“ sich nicht um Sex dreht, worum dann? Callboys und Stricher haben Sex, permanent, und sie haben immer mit Fetischen und Perversionen zu tun, von der die Hafennutte gerne erzählt. Alles bleibt an der Oberfläche, die Beziehung zu Andreas zum Beispiel: es wird immer betont, dass sie sich alles erzählen können, nur tun sie es offensichtlich sehr selten. Die Freunde kommen und gehen. Sie sind auch nicht wichtig. Es ist nur wichtig, dass sie die Hafennutte akzeptieren und wertschätzen. Das ist das einzige Interesse der Hauptfigur. Daran bemisst sich der Wert der einzelnen Figuren, und danach wie offen sie gegenüber Homosexualität und Promiskuität sind. Keine der Figuren hat Tiefe. Bei einem Blog ist das meist zu verschmerzen, bei einem Buch von 256 Seiten nicht. Kurzweilig ist das Werk trotzdem, ich möchte keinen davon abhalten, dieses Buch zu lesen, immerhin enthält es interessante Einblicke in die Stricher- und Callboy-Szene, wenn es einen interessiert. Aber auch da ist nach der Hälfte des Buches spätestens alles gesagt…
Das Buch „Mein Prinz, der Callboy“ von Hartwig Schröder ist 2009 erschienen, umfasst 256 Seiten in Klappenbroschur und ist im Fachhandel für 14,95 Euro erhältlich.