Atomic Age von Helena Klotz

Das Mal Seh´ n Kino in der Adlerflychtstraße ist wohl das Kino in Frankfurt, das am häufigsten queere Filme zeigt, hier laufen Filme von Rosa von Praunheim, Xavier Dolan, von der Edition Salzgeber und Pro-Fun Media. 
In dieser Kinowoche ist es der Film Atomic Age von Helena Klotz, in dem zwei schöne, selbstverliebte junge Männer aus der Pariser Vorstadt eine vielleicht gewöhnliche Nacht miteinander verbringen. In der Art eines Road Movies sehen wir sie zunächst gemeinsam im Zug in die City Paris hineinfahren, in einen Club gehen, tanzen und Leute beobachten, über die berühmte Brücke Pont Neuf spazieren und diskutieren. Wir begleiten sie in einer Prügelei mit dem noch schöneren Niels Schneider, bekannt aus „Herzensbrecher“ von Wunderkind Xavier Dolan. Und sind hautnah dabei, wenn sie sich am Ende in einem Wald hinlegen, in den Himmel schauen und philosophieren.
Das war der Inhalt in grausamer Kürze. Dass es der Regisseurin Helena Klotz offensichtlich nicht um den Plot ging, merkt man in jeder Minute des Films. Die einzelnen Szenen wirken merkwürdig unstimmig. Das Positive daran, könnte man vermerken, ist, dass man nie weiß, was als nächstes passiert. Das Negative? Nun, besonders glaubwürdig erscheint das nicht. Wo kommt plötzlich Theo, von Niels Schneider gespielt, mit seinen zwei Klons her? Wieso hat er es auf die beiden jungen Männer Rainer und Victor abgesehen? Wieso wirkt der Dialog so unauthentisch? Wieso brechen sie plötzlich einen Streit „Arbeiterklasse versus bürgerliche Gesellschaft“ vom Zaun? Oder wieso wird Rainer von einem anderen wunderschönen Typen grob sexuelle angemacht und was reden die da für einen Unsinn miteinander? Reden so junge Leute? Eher unwahrscheinlich. Wollen wir das alles auf die Drogen schieben? Wieso taucht ein Mädchen als Geist auf und ist dann plötzlich ganz real?
Wenn es nicht um den Plot geht, wenn die Dialoge unglaubwürdig sind, was ist dann der Reiz des Films? Vielleicht die Musik des Films, die merkwürdig mysteriös ist, von Ullysse Klotz übrigens. Vielleicht die langen Aufnahmen der einzelnen Akteure: Victor, der von Dominik Woijik verkörpert, und Rainer, der von Elliott Paquet gespielt wird. Nicht nur die Jungs sind in sich selbst verliebt und vielleicht auch ineinander, sondern auch die Kamera liebt sie. Minutenlang werden sie von ihr studiert, viele Szenen wirken so, als wären sie nur zustande zu kommen, um ihre Vorzüge besser zur Geltung zu bringen. 
Und doch! Und doch hat dieser kurze Film, 67 Minuten dauert er nur an, seinen Reiz, den man nicht in Worte fassen kann. Und doch sagt man sich: gut, ihn angeschaut zu haben. Vielleicht weil er sich trotz all der Schwächen von amerikanischen Filmen abhebt, die selten die Adoleszenten wirklich ernst nehmen, eher auf Klamauk oder Herzschmerz ausgerichtet sind. Vielleicht weil in den Dialogen ein paar starke Momente waren, vielleicht weil manchmal, fern der oberflächlichen Schönheit, starke schauspielerische Stärken zu sehen sind. Vielleicht weil der schmale Grat zwischen Frustration und Aggression sehr gut eingefangen wird, was wohl der Grund für den Namen des Films „Atomic Age“ verantwortlich ist. Das war nun eine Hypothese. Die Ratlosigkeit bleibt.
Wer sich selbst einen Eindruck von Atomic Age von Helena Klotz möge sich bis zum Mittwoch noch ab 22 Uhr ins Mal Seh´n Kino begeben und seine eigenen Eindrücke sammeln. Oder sich später bei Pro Fun die DVD besorgen. Wie gesagt: schöne Menschen gibt es zuhauf zu sehen.
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SHARAYET – Eine Liebe in Teheran

Marcus Brieskorn konnte für RadioSUB diesen US-amerikanisch-iranisch-französischen Spielfilm von Maryam Keshavarz vorab sehen.

Der Film beginnt auf dem Schulhof einer Mädchenschule. Die Lehrerin prüft, ob alle da sind. Schon in dieser Einstellung wird gezeigt, wie nahe sich zwei der Schülerinnen stehen: Atafeh und Shirin. Sie stecken sich heimlich Botschaften zu. Die eine will für die andere sogar das Schulgeld bezahlen, damit sie nicht als unanständig gilt. Und da sind wir beim Thema dieses Spielfilms: Was ist „anständig“ in Teheran? 

 

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Romeos von Sabine Bernardi

Der Film „Romeos“ der Regisseurin und Drehbuchautorin Sabine Bernardi ist eine Kooperation des jungen Kölner Startup-Unternehmens, der Produktionsfirma Boogiefilm, und dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF. Er handelt von einem jungen Transgender namens Lukas und seinen Erlebnissen in der Großstadt Köln. Aus der Provinz gekommen wird er bei seiner FSJ-Stelle erst einmal ins Mädchen- anstatt ins Zivi-Wohnheim gesteckt, schließlich ist er offiziell noch Miriam. Lukas möchte da nicht sein. Selbst als er seine ehemalige beste Freundin Ine dort antrifft, verändert sich sein Ansinnen nicht. Selbst alltägliche Verrichtungen wie Duschen (in Wohnheimen ja häufig gemeinsam mit anderen) oder das Baden im See sind recht abenteuerlich für ihn.

Lukas ist ein „Transmann“, als Miriam geboren, fühlt er sich so, als sei er im falschen Körper, und sehr viel lieber ein Mann anstatt einer Frau. Das Wort transsexuell verwenden Betroffene wie Lukas meist nicht, um zu verhindern, dass die Gesellschaft ihr Problem als sexuelles ansieht. In Wahrheit handelt es sich um eine Identitätsproblematik. Wie schwer es für Lukas ist, in diesem so freizügigen und vermeintlich offenen Köln in dieser Lebensphase zu bestehen, wird ihm und dem Zuschauer schon sehr bald deutlich, übrigens in einer sehr kuriosen Badszene… Er nimmt zwar Testosteron und versucht mit viel Hanteltraining seinen Körper zu formen, doch seine weiblichen Attribute sind durchaus vorhanden. Und diese hindern ihn daran, körperliche Nähe aufzubauen, enn das würde ihn auffliegen lassen. Er sehnt sich jedoch nach körperlicher Nähe. Unglücklicherweise hat er sich dafür den gut gebauten, sehr attraktiven Südländer Fabio, der ganz augenscheinlich ein Macho ist, ausersehen.

Das hört sich vielleicht erst einmal gar nicht so aufregend und vielleicht sogar klischeehaft an, ist es jedoch bei Weitem nicht. Susanne Bernardi hatte in der Vergangenheit bereits einen sechzigminütigen Dokumentarfilm zum Thema Transgender gedreht und hatte das Ziel dieses Thema in einen gleichsam sensiblen wie lustigen Spielfilm umzuwandeln, welcher hinter die Paradiesvogel-Fassade blicken wollte. Dies war ein langwieriger Prozess. 2007 gab es die erste Version des Drehbuchs, das im gleichen Jahr den Kölner Drehbuchpreis erhielt. Zwei weitere Jahre benötigte es, um die sehr authentische und kurzweilige letzte Fassung zu erarbeiten.

Auch das Casting für die Hauptrolle war eine langwierige Sache, drei Monate suchte man nach Rick Okon, der den zwanzigjährigen Lukas brillant darstellen konnte. Er hatte sich zuvor sehr viel Zeit genommen, sich in das Thema einzulesen, mit Transgendern zu reden und zu versuchen, ihre Gefühle und Gedanken zu verstehen. Dies ist ihm tatsächlich bis ins kleinste Detail gelungen. Der Zuschauer litt mit ihm, regte sich über ihn auf, freute sich mit ihm. Die weiteren Hauptrollen werden von jungen, wenig erfahrenen Schauspielern verkörpert, Ine alias Liv Lisa Fries hat unter anderem in „Die Welle“ mitgewirkt und Fabio alias Maximilian Befort in „Bibi Blocksberg – Der Film“. Auch sie zeigen bemerkenswert viel Gespür für ihre Rollen und die Geschichte.

Bei der Stoffentwicklung schauten sich die Macher des Films „Transamerica“ und „Fucking Amal“ an und ließen sich davon inspirieren. Das tat dem Film ebenso gut wie das in jedem Bild das Anderthalbfache der Lichtstärke eines normalen Fernsehfilms eingesetzt wurde. Hintergrund davon ist, dass man eine Sommerkomödie mit flirrender Helligkeit, Sonne, Haut und Schweiß drehen wollte, was auf jeden Fall gelungen ist.

Sabine Bernardi und ihrem Team, den Produzentinnen Janna Velber und Kristina Löbbert, der Zuständigen für das Casting Iris Baumüller usw. ist ein Film gelungen, der Spaß macht und einen gleichzeitig noch nachhaltig beschäftigt. Ein deutscher Film, der ganz sicher mit den amerikanischen Indie-Filmen wie zum Beispiel dem thematisch ähnlichen „Boys don´t cry“ sicherlich mithalten kann.

Der Bundesstart des Filmes ist der 8.12.

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Auf der Suche von Jan Krüger

Der Titel auf der Suche sagt es bereits an: Hier sind Menschen auf der Suche nach etwas oder jemandem. In diesem Fall der geliebte Sohn. Die Mutter Valerie macht sich auf den Weg nach Frankreich, nach Marseille, um ihren verschwundenen Sohn zu suchen. Niemand verschwindet einfach so. Es wird einen Grund geben, einen Plan, irgendeine Spur. Jens, der Exfreund des Verschwundenen, Simon, begleitet sie dabei, betätigt sich als Übersetzer und Vermittler, und manchmal geht er seine eigenen Wege. Diese neue Schicksalsgemeinschaft hat einige heftige Verwicklungen zu bearbeiten. Valerie möchte das Schwulsein ihres Sohnes nicht akzeptieren, während Jens sein Leben nicht vor der Elterngeneration rechtfertigen möchte. Sie umkreisen sich gegenseitig, beäugen sich wie zwei wilde Tiere, fragen sich beide, ob sie eine Annäherung wagen sollen. Dann treffen sie auf weitere Menschen im Leben des Verschwundenen, die weitere Reibungen auslösen. Immer mehr wird deutlich, dass beide Figuren, dass eigentlich alle Figuren in diesem Film auf der Suche sind. Doch auf der Suche nach was? Valerie mit ihrem Mutterinstinkt und Jens´ Wissen um Simons geheime Orte treiben sie irgendwie weiter, bevor sie in ihren Verflechtungen zugrunde gehen. Simons Kollegin Camille und der junge Autoverkäufer Jalil weisen ihnen weiter den Weg…

Nach seinem 2009 im Kino gelaufenen Film „Rückenwind“ hat der Regisseur Jan Krüger nun seinen neuen Kinofilm „Auf der Suche“ mit der renommierten deutschen Schauspielerin Corinna Harfouch abgeliefert. Sie spielt ihre Rolle sehr distanziert, was man durchaus ambivalent betrachten kann. Hat der eine Zuschauer das Gefühl, dass sie diese Rolle vielleicht ohne eigene emotionale Beteiligung runterrattert, mag der andere es vielleicht authentisch finden, dass sie die Rolle so anlegt. Ich neige eher zum letzteren. Valerie ist eine Powerfrau, die alles unter Kontrolle hat, die alles in ihrem Leben erreicht hat. Geld hat sie, Ehre hat sie – nur der eine kleine Makel verfolgt sie: Dass ihr Sohn schwul ist und sich nicht von ihr kontrollieren lässt. Er lebt nicht das Leben, das er leben sollte. In ihren Augen. Dass so eine Person ihre Emotionen nicht gut zeigen, sie kontrolliert hält, ist sehr schlüssig. Und doch versucht sie Jens an sich zu ziehen, ihn näher kennenzulernen, aber eben immer in Maßen, nicht zu nahe dran lassen. Er wiederum ist sehr angenervt von dieser Art, verkennt die Mutter anfangs auch. Dieses kammerspielartige Umkreisen meistern beide sehr gut, auch Nico Rogner, der seine Rolle sicher spielt. Beide stellen ihre Figuren ohne große Gesten und Regungen dar, was einfach passend erscheint.

Diese Story eignet sich meiner Meinung nach sehr gut zu einem Theaterstück, das intensiv und nachdrücklich erscheint. Als Film wirkt dieser Film, der an ästhetisch schönen Orten gedreht wurde, mit hübschen Menschen, manchmal ein bisschen zu dröge, zu unaufgeregt. Der Zuschauer lässt sich mittreiben und kann vielleicht mitunter einem Abdriften in eigene Gedanken nicht widerstehen. Jan Krüger auf jeden Fall hat eine Hand für schöne Aufnahmen, ein Gespür für seine Figuren, nur die Handlungen seiner Geschichten könnten ein bisschen ausgefeilter sein.

Den Film ist im Verleih der Edition Salzgeber und hat seinen Bundesstart am 10.11.2011. www.salzgeber.de

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