Reich mir deine Hand von Pascal-Alex Vincent

 

Die 18-jährigen Zwillingsbrüder Deloges verlassen ihr Zuhause im Norden Frankreichs und begeben sich auf die Reise zur Beerdigung ihrer Mutter nach San Sebastian. Dabei lässt der eine, „Dummkopf“ genannt, den Vater und dessen Bäckerei im Stich. Der andere, Antoine, übernimmt die Führung in diesem Roadmovie und fortan schlagen sie sich durch halb Frankreich und Spanien. Sie werden von skurrilen Menschen im Auto mitgenommen, legen sich in große Rohre, die auf einem LKW liegen oder fahren mit dem Zug. Diese Reise wird zum Test für ihre brüderliche Beziehung und gelegentlich trennen sich die Wege der beiden, weil sie sich streiten.

Zwillingsbrüder kommen in vielen Fantasien von schwulen Männern vor. In Bildbänden werden erotische Fotografien von Zwillingen abgedruckt und in manch einem Porno sieht man sie miteinander wilde Dinge machen. Wenn sie dann auch noch sehr jung, gerade mal achtzehn, und gutaussehend sind, werden diese Gedanken erst recht beflügelt. Aber Zwillinge sind im Themenkreis Homosexualität auch aus anderem Grund interessant: Wollte man doch mit der Zwillingsforschung beweisen, dass Homosexualität vererbbar ist. Nun, das ließ sich bisher nicht beweisen. Fakt ist, dass wenn ein Teil von einem eineiigen Zwillingspärchen schwul ist, dann auch oft der andere Teil schwul.

Zunächst scheint dies keine der beiden Hauptfiguren zu sein. An einer Tankstelle wird Dummkopf von der Verkäuferin angehimmelt, die die beiden nun für einen Tag und eine Nacht begleitet. Mehrmaliger Sex mit ihm inklusive. Später werden sie von zwei Frauen in ihrer Ente mitgenommen und auch dies endet im Sex-Abenteuer.

Die beiden jungen Männer sind sehr unterschiedlich. Antoine ist eher kommunikativ, gerne unter Menschen, er singt, ist tatkräftig, aktiv. Dummkopf ist eher der sensible Mensch, er zeichnet permanent, ist gerne alleine, schüchtern und passiv. Und… er ist schwul. Dies erfährt man auf ihrem Zwischenstopp auf einem Bauernhof. Dort möchten sie als Tagelöhner auf den Feldern etwas Geld verdienen. Der junge Mann lernt dabei einen arabischen Jungen kennen. Besonders schön ist ihr Dialog, der dem Sex vorausgeht: Letzterer sagt, dass es hart sei, einen Monat ohne körperliche Liebe mit seiner Freundin auszuhalten. Dummkopf zeichnet ihn, dann zieht sich der arabische Junge aus. Er müsse ihm etwas zeigen. Sie gehen an einen See, baden darin und danach haben sie miteinander Sex. Antoine beobachtet sie dabei… Dass da Gefühle mit im Spiel waren, erfährt man aus dem Blick des Jungen, als die beiden Brüder wieder weiterziehen. Dummkopf möchte auf dem Bauernhof bleiben.

Auch Antoine verbirgt wohl ein Geheimnis. Zumindest schaut er seinen Bruder mit merkwürdigen Augen an.

Das Titel-Lied ist ein wunderschönes Lied von Colette Magny, das in diesem Film sehr stimmig ist. Der Film beginnt mit Zeichentricksequenzen und nimmt hier schon das Titel-Thema: DONNE-MOI LA MAIN auf, das sich geschickt durch den ganzen Film zieht.

Pascal-Alex Vincent hat einen sehr schönen französischen Film gedreht, der ohne viele Worte auskommt. Die Dialoge sind sehr rar, gelegentlich kriegen andere Menschen keine verbale Antwort von den beiden Jungen. Der schönste Dialog findet zwischen Antoine und einer Zugreisenden statt: Die deutsche Schauspielerin Kathrin Saß sitzt ihm gegenüber und hört ihn seine Geschichte erzählen und antwortet mit der Erzählung über ihre erfundene kleine Schwester.

Es gibt sehr viele Szenen, in denen die Zwillinge miteinander raufen. Dies verdeutlicht die Spannungen der beiden, die in verschiedene Richtungen gehen, und transportiert die latente homoerotische Ebene zwischen ihnen. Auch hier lässt die schwule Fantasie recht schön grüßen.

Nicht nur der Regisseur Vincent, sondern auch  der Kameramann Alexis Kavyrchine hat sehr gute Arbeit geleistet. Die Landschaften sind hervorragend  fotografiert und es macht Freude die beiden auf diese Reise zu begleiten.

Dieser eher ruhige, sensibel gestaltete Film ist absolut sehenswert.  Weitere Informationen erhaltet ihr auch bei www.salzgeber.de.

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Teenage Angst von Thomas Stuber

 

TEENAGE ANGST ist ein Begriff, der in Amerika verwendet wird, um Gefühle der Furcht und Angst bei Adoleszenten zu benennen. Die Band Placebo, aber auch Kurt Cobain von Nirvana besangen dieses Gefühl in den Neunzigern und prägten damit den Begriff. TEENAGE ANGST heißt nun auch der Film von Thomas Stuber, der auf der nächsten GAY FILMNACHT gezeigt wird und nach Angaben von Salzgeber ab dem 29. Januar seinen Bundesstart hat.

Stürmer, Dyrbusch, Bogatsch und von Leibnitz werden von ihren reichen Eltern in ein Elite-Internat ABGESCHOBEN: Unterfordert vom Schulalltag und unbeobachtet vom Lehrpersonal schließen sie sich zu einer exklusiven Gruppe zusammen, aus der Dyrbusch mehr und mehr ein sadistisches Zwangssystem zu machen versteht. Mitläufer Stürmer sieht tatenlos zu, wie sich die Aggressionen gegenüber dem Gruppenschwächsten Leibnitz aufschaukeln. Die Gewalt eskaliert.

Nähern wir uns der Thematik dieses Films an. Eine bekannte Schullektüre ist LORD OF THE FLIES von Sir William Golding, sein sicher berühmtestes und erfolgreichstes Werk, das auch mindestens zwei Mal verfilmt wurde. Zuletzt von Harry Hook im Jahre 1990 mit dem Millionenerben Balthazar Getty. Zwei Dutzend acht- bis zwölfjährige Jungen landen nach einem Flugzeugabsturz auf einer tropischen Insel. Was zuerst wie ein Abenteuer aussieht, das trotz aller Nöte Spaß macht, entwickelt sich schnell zu einem makabren Chaos: Die Knaben spalten sich in zwei feindliche Lager und beginnen sich zu bekriegen. Die Hauptthematik der Geschichte ist die angeborene Gewaltbereitschaft des Menschen. Im Roman wird die Situation dadurch überspitzt, dass die Protagonisten Kinder sind, die eigentlich Symbol für Unschuld und Reinheit sind. Je mehr die Kinder den Bezug zu Zivilisation und Gesetz verlieren, desto mehr schwindet ihre scheinbare Unmündigkeit.

Gehen wir einen Schritt weiter. Regisseur Thomas Stuber erzählt davon, dass am Anfang die wiederholte Lektüre des Romans VERWIRRUNGEN DES ZÖGLINGS TÖRLESS von Robert Musil, einem Werk, das autobiografische Züge hat und im Jahre 1906 erschien. Volker Schlöndorf verfilmte DEN JUNGEN TÖRLESS 1966 mit Matthieu Carriere in seiner ersten Filmrolle, schon damals ein begnadetes Schauspiel-Talent und sehr hübsch anzusehen.Musil beschreibt die Entwicklung des Schülers Törless an einem Provinzinternat der österreichisch-ungarischen k. und k. Monarchie. Er und seine zwei Mitschüler Reiting und Beineberg erwischen den jüngeren Mitschüler Basini beim Stehlen, wollen dies aber geheim halten, um ihn bestrafen und quälen zu können. Während Beineberg und Reiting Basini psychisch und physisch misshandeln und foltern, versucht Törless auf psychologischer Ebene von Basini zu lernen. Basini wird ein „Versuchsobjekt“. Homoerotische Beziehungen zwischen den Hauptakteuren spielen dabei eine wesentliche Rolle. Obwohl auch Törless Basini misshandelt und demütigt, widert ihn das Verhalten seiner Mitstreiter Reiting und Beineberg zunehmend an. Trotzdem übt die Demütigung Basinis eine gewisse Faszination auf ihn aus. Er ist dabei nicht dazu fähig, diese Faszination in Worte zu fassen. Er versucht der „Seele“ nahe zu kommen, Basini ist sozusagen der Schlüssel dazu.

Musil beschreibt in Törless präzise eine psychisch und intellektuell heranwachsende Person und die gruppendynamischen Mechanismen im Kräftefeld eines Klassenverbandes, die Bündnisse und Rivalitäten zwischen den Diktatoren der Klasse, ihre Mitläufer und intellektuellen Handlanger.

Ähnlich sieht es im Film von Thomas Stuber aus. Am Wochenende von Stürmers Geburtstag verselbständigt sich die Gruppendynamik der jungen Männer. Nachdem sie sich schon Abendelang in der extra angemieteten Datscha, einem Bootshaus ähnlich, getroffen und gesoffen hatten, passiert etwas Folgenschweres am Geburtstag von Stürmers achtzehntem Geburtstag. Dyrbusch, der in einer Kneipe versucht hat, Valeska, die Kellnerin, zu demütigen, wird von ihrem Freund verprügelt. Nach gemeinschaftlichem Genuss von Crystal Meth und einem Bad im See begegnen die jungen Herren Valeska wieder und ein aggressiver Flirt der Jugendlichen endet damit, dass sie von Dyrbusch und Bogatsch beinahe vergewaltigt wird. Während der fassungslose Stürmer hilflos daneben steht, greift von Leibnitz ein. Damit jedoch handelt er sich jedoch in der Folge die Aggressionen und die Quällust von Dyrbusch und Bogatsch ein, die ihn abendlich foltern. Die homoerotische Komponente ist dabei genauso evident wie in der Vorlage Musils.

Stürmer, der wahrscheinlich nicht zufällig diesen Namen trägt, ist ein Mitläufer. Er steht daneben, wenn Valeska fast vergewaltigt wird. Er beobachtet die Dyrbusch und Bogatsch, wie sie von Leibnitz foltern. Als er sich seinem Mentor mitteilen möchte, lässt der ihn gar nicht aussprechen und tut dies als jugendliche erotische Gefühlsverwirrung ab: Ich war ja auch mal jung… zeig einfach mehr Aktivität! Nimm teil – und alles wird gut!

Stuber ließ sich von Musil inspirieren und genauso von den Ereignissen im Jahre 2004 und Anfang 2007. Im ersteren Fall wurden in einer Kaserne in Coesfeld Bundeswehrrekruten von ihren Ausbildern gequält. Man erinnere sich daran, dass auch in Musil das Internat ein Kadetteninternat und der Folterer Reiting eine militärische Karriere einschlagen will. Im letzteren Fall wird ein Häftling im Gefängnis Siegburg von seinen Mitinsassen gezwungen, sich selbst zu erhängen. Doch Stuber möchte vermeiden, dass seine Geschichte in eine bestimmte Ecke gedrängt wird. Nicht Armut oder schlechte Erzeihung führen zu diesem Verhalten von Dyrbusch und Bogatsch. Nein, sie sind reich und haben das Gefühl, alles machen zu dürfen, was sie wollen. Dabei erinnert dieser Film an Michael Hannekes Werk FUNNY GAMES, das letzthin auch ein amerikanisches Remake erhielt. Und in dem zwei junge reiche Heranwachsende aus der Lust des Quälens heraus eine Kleinfamilie in ihrem Feriendomizil terrorisieren. Macht ist das Thema, und Erniedrigung. Doch warum das alles? Weil dies tief im Menschen verankert ist: Macht über ein anderes Lebewesen genießt man. Was, wenn man mit einem Menschen tun kann, was man will, ohne einem Dritten darüber Rechenschaft ablegen zu müssen?

Der Film versucht, alles Unnötige aus der Geschichte zu eliminieren und konzentriert sich nur auf den Kern der Geschichte. Anstatt Abblenden einzusetzen, benutzt der Regisseur Landschaftsaufnahmen, die der Kameramann Peter Matjasko, ein gebürtiger Frankfurter übrigens, gekonnt in Szene setzt. Die Jungfilmer zeigen sehr großes technisches Geschick, zum Beispiel die Zuständigen für den Schnitt. Neben dem Schnitt Förderpreis beim Deutschen Kamerapreis 2008 erhielt der Film auch den Titel BESTER DEUTSCHER NACHWUCHSFILM und BESTE KAMERA beim 37. Internationalen Studentenfilmfestival Sehnsüchte.

Die Darsteller Franz Dinda als Konstantin Stürmer, Niklas Kohrt alias Dyrbusch, Michael Ginsburg als Bogatsch und Janusz Kocaj als von Leibnitz spielen hervorragend. Ganz subtil konnten Franz Dinda und Janusz Kocaj ihre Faszination füreinander darstellen, ohne dies gegenständlich werden zu lassen. Ein großartiger Film, der vor allem auf Ästhetik und Voyeurismus setzt, weniger auf große Gefühle und auf die Tränendrüse drücken.


 

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Unter Strom von Zoltan Paul

Was passiert, wenn deutsche Filmemacher sich an den Coen Brüdern orientieren und eine witzige Filmkomödie drehen wollen? Meist geht es schief. Manchmal aber auch nicht… In diesem Film treffen ein frisch geschiedenes, permanent streitendes Ehepaar, ein zu Unrecht zu 15 Jahren Haft verurteilter Kleinganove, seine von seinem besten Freund schwangere Freundin, eben dieser beste Freund, ein Wirtschaftsminister und sein heimlicher Liebhaber, der zufälligerweise auch Kriminalhauptkommissar ist, und dessen Kollegin, die unheimlich in ihn verliebt ist aufeinander. Und zwar in der Sommerresidenz des Ehepaars, in der der neue Liebhaber der Frau auf sie wartet. Der Kleinganove ist auf der Flucht, nimmt aber das zerstrittene Ehepaar als Geisel, später auch den Wirtschaftsminister. Die Polizei versucht ihn fortan zu schnappen und ihn in der Sommerresidenz zu stellen.
Regisseur Zoltan Paul hat nach vier Jahren Stoffentwicklung eine Komödie im Genre des gehobenen Boulevardtheaters drehen wollen. Es ist eine Beziehungskomödie geworden, eine über den ewigen Krieg der Geschlechter. Es ist aber auch eine Kriminalfarce, die vergleichbar mit amerikanischen Vorbildern ist. Die Dialoge sind temporeich und sehr ironisch, manchmal auch weise. Immer jedoch Repliken auf das Kino.
Denn, wie Cheesie, der Kleinganove, sagt: „Alle Rätsel des Lebens werden in Filmen gelöst.“ Gloria Huber, die von ihm schwanger ist, allerdings die Frau von Frankie Huber, entgegnet ihm: „Das hier ist kein verdammter Scheiß-Hollywoodschinken.“ Nein, das ist kein verdammter Scheiß-Hollywoodschinken, sondern ein witziger deutscher Film. Mit Schauspielern, die Lust auf den Film hatten, deren Freude man in jedem Moment erkennen kann. Mit Schauspielern, die Ecken und Kanten haben, aber auch ernsthaft komödiantisch spielen können. Niemand ragt in diesem Ensemble heraus. Jede und Jeder hat seine eigene Besonderheit und spielt diese aus. Besonders komisch ist dabei Harald Krassnitzer, der als Gegenpol von der souveränen Catrin Striebeck agiert. Sunnyi Melles brilliert als psychotische und nymphomanische Polizistin. Und Robert Stadlober und Hanno Kofler zeigen erneut, wieso sie zur Elite der deutschen Jungschauspieler gehören. 
Die vier Jahre Stoffentwicklung haben sich gelohnt. Jede Pointe sitzt, jeglicher Kitsch wird als gewollte Trash-Komponente erkennbar. Es ist ein kurzweiliges Kinovergnügen, das man jedem empfehlen kann. Überzeugt euch selbst. Am 10. Dezember kommt der Film UNTER STROM in die deutschen Kinos, und es wäre wünschenswert, wenn sehr viele Zuschauerinnen und Zuschauer ins Kino gingen.

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