Es gibt Filme, bei denen es schwer fällt, subjektiv zu sein. Aus irgendeinem Grund berühren sie einen in den Grundfesten und führen zu einem emotionalen Chaos. Bei mir haben das Filme wie Schindlers Liste, Roman eines Schicksallosen oder auch Die Farbe Lila ausgelöst. Am meisten jedoch der Mehrteiler Fackeln im Sturm. Ich konnte kaum mit ansehen, wie LaMotte seine Sklaven verprügelte, vergewaltigte oder umbrachte. Ich wünschte ihm den Tod und konnte kaum an mich halten, während ich diese Gräuel im TV verfolgte. Ähnlich ging es mir gelegentlich bei Die verborgene Welt von Shamim Sarif.
Die Geschichte spielt im Südafrika der fünfziger Jahre, genauer gesagt im Jahr 1952. Vier Jahre zuvor wurden die Apartheids-Gesetze eingeführt, die klare Trennlinien zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe verlangten. Ein Schwarzer durfte nicht mit einem Weißen in einem Restaurant sitzen. Im indischen Viertel gibt es das „Location Cafe“, das eine Grauzone bildet in dieser schwarzweißen Gedankenwelt. Hier ist der Ort, an dem alle willkommen sind, zu essen und zu feiern. Doch die Geschäftspartner Amina und der Farbige Jacob müssen deswegen mit Schikanen der örtlichen Polizei rechnen. Eines Tages kehrt Miriam in dieses Location Cafe ein. Eine traditionelle indische Hausfrau, die mit ihrem Mann und ihren drei Kindern außerhalb zieht, um dort einen Gemüseladen zu führen. Zunächst redet sie wenig und ist ihrem Mann unterwürfig. Doch je näher sich Amina und sie kommen, desto mehr ändern sich ihr Denken und ihr Reden. Gleichzeitig wird das Verhältnis Jacobs zur weißen Postvorsteherin enger. Dieses ist allerdings genauso zum Scheitern verurteilt…
Shamim Sharif dreht hier nach ihrer eigenen preisgekrönten Romanvorlage eine von ihrer Großmutter inspirierte Geschichte. Sie schildert ihre Charaktere mit sehr viel Sensibilität und ohne viel Brimborium. Und trotzdem berührt sie den Zuschauer auf eigentümliche Weise. Einerseits kann man es kaum mit ansehen, wie Jacob zum Beispiel erniedrigt wird, während er versucht sich der Postvorsteherin anzunähern. Andererseits macht das Verhalten Aminas sehr viel Mut. Diese Person ist stark, sehr stark. Und sie gibt es auch anderswo. Sie gibt uns ein Beispiel von Zivilcourage, das jede Gesellschaft braucht. Vielleicht nicht vergleichbar mit Oskar Schindler, aber doch in diese Richtung gehend. Sie verkörpert ein Frauenbild, das für diese Zeit untypisch war. Nicht nur für Südafrika, sondern für die ganze Welt.
Zart und sanftmütig wird diese Annäherung der beiden Hauptfiguren Miriam und Amina geschildert. Auf der einen Seite Miriam, die vieles noch nicht mal in Erwägung gezogen hatte. Auf der anderen Seite die Rebellin Amina, die mitnichten heiraten will. Im Gegenteil: sie ist nicht an Männern interessiert. Das ist ein offenes Geheimnis. Doch wird sie bei Miriam eine Chance haben? Alles beginnt mit einer schlaflosen Nacht. Amina wird von Miriams Mann engagiert, den Garten zu bestellen. Als es nachts zu dunkel ist, schlägt Miriam vor, dass Amina bei ihnen schlafen könne. Ihr Mann ist nicht da. Beide Frauen treffen sich nachts in der Küche, weil sie nicht schlafen können. Amina erzählt die Geschichte ihrer Großmutter. Diese wurde nach einer Vergewaltigung und der nachfolgenden Konsequenz: ein Kind, das nicht das ihres Mannes sein konnte, aus der Familie verstoßen. Ihr anderes Kind wurde aus ihren Armen gerissen.
Sie beginnen sich gegenseitig Bücher zu schenken, in die Welt der anderen einzutauchen. Miriam beginnt, ihren Mann und ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu betrachten. Eines Nachts hilft sie sogar einem Farbigen, der von einem Weißen angefahren wurde…
Die verborgene Welt von Shamim Sarif lebt nicht nur von der großen Geschichte, sondern auch von den Schauspielerinnen Lisa Ray und Sheetal Sheth. Erstere spielte im oscarprämierten Film Water von Deepa Mehta mit, letztere in mehreren Produktionen, die auf Festivals für Furore sorgten. Der Film erhielt neben dem Publikumspreis beim Miami Festival und beim Paris Feminist und Lesbian Filmfestival auch beim auch in Frankfurt stattfindenden Verzaubert Filmfestival den Vize-Publikumspreis.