„Das war’s dann wohl“. Abschiedsbriefe von Männern von Sibylle Berg

 

Sibylle Berg ist vor allem durch ihre durch und durch obszöne und böse Literatur wie zum Beispiel in SEX² bekannt. Manche lieben ihre zynische Art, manche finden ihre Schreibe nur pervers. Sie polarisiert sehr. 2006 legte sie den erfolgreichen Band „UND ICH DACHTE, ES SEI LIEBE“. ABSCHIEDSBRIEFE VON FRAUEN vor, der daraufhin auch als Hörbuch mit Sophie Rois und Hannelore Hoger herauskam. 2008 folgte dann das Pendant dazu: „DAS WAR´S DANN WOHL“. ABSCHIEDS-BRIEFE VON MÄNNERN. Darin bietet Sibylle Berg nun unverblümte und intime Einsichten in die Gefühlswelten von Männern. Die von ihr gesammelten Briefe sind anrührende Zeugnisse männlichen Ausdrucks-vermögens. Denn: Natürlich haben Männer Gefühle, oft sogar sehr viel verzweifeltere als Frauen, denn sie wissen gemeinhin nicht, wie sie ihnen Ausdruck verleihen sollen. So lautet zumindest das Klischee. Sibylle Berg hat Abschiedsbriefe gesammelt und kommentiert, Briefe von berühmten und weniger berühmten Männern, von lebenden und toten. Und eines hat sie dabei festgestellt: Egal ob sich der Mann von einer Liebe, einer Katze oder seinem Auto trennt – erst handelt er, dann denkt er nach. Und gelegentlich versucht er, für seine Gedanken die richtigen Worte zu finden. In dem Band finden sich Briefe von Leo Tolstoi, Edgar Allan Poe, Fernando Pessoa, Charles Baudelaire, Alain Delon, Wiglaf Droste, Tom Kummer, Moritz Rinke, Friedrich Dürrenmatt, Oskar Lafontaine und vielen anderen mehr.

Interessant ist dieser Band so oder so, alleine schon das amüsante Kapitel Abschied von Zeug, in dem sich bekannte und unbekanntere Herren mit Schwung von Dingen trennen. Im Kapitel Das große Finale – Abschied vom Leben, in dem eher nicht mehr lebende, aber berühmte Herren von ihrem Abschied vom Leben schreiben. Im dritten Kapitel Goodbye my love – Abschied von der Liebe trennen sich dann berühmte und weniger berühmte Herren von ihren Liebesgeschichten. Und da wird es dann interessant für uns:

Jens K. schreibt einen Abschiedsbrief an seine vergangene Liebe, den Nicht-mehr-Freund-Olli.

„Na ja, so wirklich lange zusammen waren wir nicht, es waren bloß vier Monate, aber gepasst hat es trotzdem, zumindest bis zu meinem Urlaub.“

Das erklärt er zunächst, um uns dann mitzuteilen, dass er vor allem Schwierigkeiten hatte, es Olli zu gestehen, dass er eben so fühle. Typisch Mann, ein Feigling, möchte man spontan ausrufen. 

„20:53 Uhr – gerade geht es mir so, als hätte ich den größten Fehler meines Lebens gemacht, und mir geht dein Schweigen nicht aus dem Kopf. Ich fühle mich so dermaßen unwohl in dieser Position, dass ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen oder ändern, aber das kann ich nicht, denn es würde bedeuten, dass ich dir etwas vorspiele oder dich belüge, und das hast du nicht verdient.“

Wer kennt diese Situation nicht, in der einen Position oder in der anderen. Es ist keine große Literatur, die man liest, und keine großen Reflexionen. Jedem ist das schon passiert. Aber genau das ist die Stärke dieser Texte. Erfahrungen, die man selbst gemacht hat, oder die jemand anderer gemacht und uns erzählt hat. Dinge, die uns in diesen Erzählungen bekannt vorkommen. Jens K. war nicht verliebt in Olli. Es war schön, er fühlte sich wohl. Doch da war kein Kawumm! Da war keine große Leidenschaft. Und das merkte Jens im Urlaub. Kein Gewitter spürbar, kein überwältigendes Gefühl, sofort abreisen zu müssen, um ihn zu sehen, kein Zwang, sofort den Hörer nehmen zu müssen, um ihn anzurufen. Eine elementare Frage: Verzichte ich auf Leidenschaft, um etwas Sicheres zu bewahren, etwas, womit ich mich wohl fühle, aber nicht wofür ich sterben möchte? Oder warte ich auf die Leidenschaft, auf DIE GROSSE LIEBE. Jeder kennt diese Frage.

Eine weitaus tragischere Geschichte erzählt Michael M.:

„Berlin war die Stadt, in der wir uns trafen, I. und ich. Er war süße 19, ich 21 Jahre alt. Für ihn gab es bisher nur die Liebe zu Gott (Allah), traditionell geformt von seiner Familie. Immer im Kampf mit sich selber und der Religion im Nacken hat er sich Hals über Kopf in mich verliebt. Schwul? Wie geht das?“

Man kann es sich vorstellen, was da alles passieren kann und tatsächlich auch passiert. Doch ich möchte nicht zu viel verraten. Denn dieses Buch ist so lesenswert, dass es jeder und jede selbst tun sollte.

„DAS WAR´S DANN WOHL“. ABSCHIEDSBRIEFE VON MÄNNERN herausgegeben von Sibylle Berg ist 2008 in der DVA (Deutschen Verlags-Anstalt) erschienen. Es umfasst gebundene 206 Seiten und ist im Fachhandel für knapp 18 Euro zu beziehen.

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Abschied von Bob von Lutz van Dijk

 

Mir gefällt das Lesen von Jugendbüchern. Es ist ähnlich wie bei Krimis. Sie sind eher leicht zu lesen, also eine sehr geeignete S-Bahn-Lektüre, immer spannend gestaltet, damit die Zielgruppe nicht die Lust verliert. Und oft behandeln die Autoren schwer verdauliche Themen auf ansprechende und einfache, aber nicht zu vereinfachende Weise. Das ist auch in diesem Jugendbuch des Autoren Lutz van Dijk der Fall. 

In ABSCHIED VON BOB geht es um die Freundschaft eines ungewöhnlichen Paares: Die etwas mollige Yvonne, die oft von ihren Mitschülern verspottet wird, und Bob, der schwarzhäutige, gut aussehende, schwule Junge.

Als Yvonne von zu Hause wegläuft, vertraut sie nur ihm. Sie erlebt mit ihm, dass Liebe ganz unterschiedliche Gesichter haben kann. Bob aber hat große Sorgen. Nachdem sein Ex-Freund ihm erzählt, dass er HIV-infiziert ist, fürchtet er sich vor Aids und zögert den Test lange hinaus. Als sich herausstellt, dass er tatsächlich infiziert ist, weist sein Blut bereits eine enorm hohe Viruslast auf. Yvonne zögert keinen Moment, an Bobs Seite zu bleiben. Sie ist bei ihm, als er eine quälende Zeit lang auf die Medikamente eingestellt wird. Doch Bob hält dieses strikte neue Leben nicht lange aus. Er flüchtet – und kehrt erst zurück, als es zu spät ist.

Denn Bob verwirklicht sich seinen Lebenstraum, bevor er dann endgültig im Krankenhaus landet: Er reist nach San Francisco, dem Ort, an dem er so sein kann, wie er ist. Und lebt dann eine Weile da, ohne sich bei seiner Familie und seinen Freunden zu melden.

Lutz van Dijk ist 1955 geboren, arbeitete viele Jahre bei der Anne- Frank-Stiftung in Amsterdam. Seit 2001 lebt er in Kapstadt als Co-Direktor der von ihm mitbegründeten Stiftung HOKISA (Homes for Kids in South Africa), die Aids-Waisen und HIV-infizierten Kindern ein Zuhause gibt. Für seine Jugend- und Sachbücher wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Natürlich merkt man diesem Jugendbuch dieses Engagement und die Ziele des Autoren an, doch es wirkt nie moralisierend und aufgesetzt. Dafür ist es viel zu emotional und viel zu tragisch. Man freut sich zunächst mit Yvonne über die neu aufkeimende Freundschaft, die sich wie eine Verliebtheit gestaltet. Später leidet man mit, wenn Bob seine letzten Lebens-Wochen und Lebens-Tage verlebt. Man kann gut nachvollziehen, dass alle beteiligten Personen mit der Situation überfordert sind.

ABSCHIED VON BOB ist im Sauerländer Verlag in der Reihe Sauerländer Reality im Juni 2007 erschienen. Es umfasst 144 Seiten und ist für 9,90 Euro im Fachhandel erhältlich.

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Das künftige Leben von E. M. Forster

 

DAS KÜNFTIGE LEBEN von E. M. Forster ist die Neuentdeckung eines Klassikers: In seinen Romanen HOWARDS END und ZIMMER MIT AUSSICHT, die beide prominent verfilmt wurden, war Forster der bildmächtige Chronist einer „guten alten Zeit“. Doch leider gab es in dieser Welt für Homosexuelle wie ihn keinen Platz. So verstummte er auf dem Höhepunkt seines Ruhms: Im Alter von 45 Jahren beendete er das Schreiben, weil die Geschichten der „gewöhnlichen Menschen“ ihn nicht mehr interessierten. Seine eigene jedoch wagte er nicht zu erzählen.

In seinem Nachlass wurden dann neben seinem Roman MAURICE noch einige Erzählungen gefunden, die in Deutschland noch zu entdecken sind. Doch zunächst zu MAURICE, der von James Ivory verfilmt wurde und bei den Filmfestspielen in Venedig dreifach ausgezeichnet wurde. Darin erzählt E. M. Forster die Geschichte einer unmöglichen Liebe. Die außergewöhnliche Romanze ist bis in die Nebenrollen prominent besetzt: An der Seite Hugh Grants und James Wilby sind Sir Ben Kingsley und Helena Bonham Carter zu sehen. Die Geschichte: Maurice Hall und Clive Durham studieren an der altehrwürdigen Universität in Cambridge. Gegen alle gesellschaftlichen Normen verlieben sich die beiden Männer ineinander. Doch um seine Karriere als angehender Anwalt nicht zu gefährden, löst Clive die Verbindung und stürzt Maurice in eine Sinn- und Lebenskrise.

In DAS KÜNFTIGE LEBEN werden Geschichten über heimliche Seitensprünge und über verhängnisvolle Kontakte zu „unzivilisierten“ Kulturen erzählt. Sie sind der gelegentlich fröhliche, manchmal aber auch bissige Kommentar zur scheinbaren Idylle der englischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Erzählung „Arthur Snatchfold“ erinnert an Erzählungen von Oscar Wilde: Der distinguierte Sir Richard Conway sitzt im Garten bei seinen reichen Gastgebern und langweilt sich. Doch plötzlich kommt ein wunderschöner Milchmann in selbstbewusstem Schritt daher. Der ältere Mann ist sogleich hin und weg. Da sein Landaufenthalt bei langweiligen Bekannten sonst wenig zu bieten hat, steht er am nächsten Tag früher auf und begegnet dem Milchmann ganz zufällig im Grünen. Der Verlauf dieser Begegnung ist für beide erfreulich, doch leider hat von weitem der Bobby zugeschaut. Nachdem Sir Richard verschwunden ist, wird der Milchmann verhaftet, und er zeigt wahre Freundschaft, indem er trotz übler Konsequenzen den Namen Conways nicht verrät.

Noch tragischer ist die Titel-Geschichte DAS KÜNFTIGE LEBEN, in dem ein Indianer sich in den ehrgeizigen Missionar verliebt. Einst galt das Volk des mächtigen Herrschers als unchristianisierbar, doch der Missionar unterwirft es. Doch was kriegt der Indianer als Lohn? Er wird auf das künftige Leben, das Jenseits vertröstet. Doch wird sich der ehemals mächtige und jetzt schwächliche Herrscher nicht doch noch rächen?

Die erste Geschichte „Das andere Schiff“ ist ebenso tragisch und melodramatisch. Hier findet sich Rassismus in ungewöhnlicher Wendung. Der indische Mischling Cocoanut verguckt sich schon als Kind in den schönen Engländer Lion. Als die beiden sich als Erwachsene wieder begegnen, angelt sich der inzwischen sehr wohlhabende Cocoa seinen „nordischen Krieger“, aber ihre sehr verschiedenen Mentalitäten führen zur Katastrophe.

Die Erzählungen von E. M. Forster bestechen durch eine wunderschöne, eloquente Sprache. Manches Mal ist es für den heutigen Leser ungewohnt, wie verschachtelt manche Sätze sind oder auch wie gewählt manche Ausdrücke, doch macht es großen Spaß, sich da einzulesen. Man muss dem Männerschwarm Verlag danken, dass er diese Erzählungen neu aufgelegt hat.

Der Erzählband DAS KÜNFTIGE LEBEN von E. M. Forster ist 2009 im Männerschwarm Verlag erschienen. Es umfasst gebundene 209 Seiten und ist Fachhandel für 18 Euro erhältlich.

 

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Zum Sterben nach Kairo von Andrea Karimé

 

Die Hauptfigur in diesem Kriminalroman ist die lesbische Deutsch-Libanesin Hala Habidi. Sie entdeckt, dass sie dafür geboren wurde, kleine Geheimnisse herauszufinden. Daher verdingt sie sich nun als Privatdetektivin. Doch ihr nächster Fall könnte eine Spur zu groß für sie sein: Ihr schwuler ägyptischer Bekannter Philemon beauftragt sie, den möglichen Mord an seiner Tante Anastasia in Kairo aufzuklären. Seit ihrer Kindheit war sie in keinem arabischen Land. Ihre Großtante hatte sie, als sie noch ein Kind war, davor gewarnt, jemals wieder zurückzukehren. Doch einer Eingebung folgend reist sie trotz aller Bedenken nach Kairo, um dort der ein oder anderen Gefahr zu begegnen.

Hier in der ägyptischen Hauptstadt trifft sie auf irritierende Gegensätze. In dieser lauten, niemals schlafenden Megacity erlebt sie einerseits die Lebendigkeit und Herzenswärme der Menschen, andererseits aber auch die gesellschaftlichen und totalitären Strukturen und traditionellen Werte eines streng muslimischen Staates.

Während Hala Habidi den mysteriösen Umständen um den Tod der Journalistin Anastasia nachgeht, stößt sie auf ein anderes Verbrechen: Ein Mädchen verblutet nach einem unfreiwilligen medizinischen Eingriff auf offener Straße, ein anderes ist vor der bevorstehenden Genitalverstümmelung auf der Flucht. Hala versucht die Drahtzieher dieser grausamen Praktik zu entlarven und gerät dabei immer tiefer in den Strudel eigener Gefühle und Erinnerungen. 

So gegensätzlich dieses Land ist, so irritierend ist auch die Diskrepanz zwischen Sprache und Inhalt dieses spannenden Kriminalromans. Auch wenn gelegentlich die Bilder etwas schräg sind, manchmal die Formulierungen etwas hinken, ist es doch die blumige Sprache, die diesen Roman zu etwas Besonderem machen.

„In diesem Augenblick fiel Regen auf die Äste ihrer Überlegungen und Fragen, ertränkte sie fast und gab dann auch noch vor, ihnen Gutes zu tun. Unfreundliche Wasser!“

„Jede Seele wird irgendwann den Tod schmecken, dachte er plötzlich und spürte leichte Panik. Ein kühler Wind kam vom Fluss und erfrischte seinen Geist.“

Dies sind zwei Beispiele von vielen. Eine interessante Technik ist, dass sie in Kursivschrift andere Stimmen die Geschichte kryptisch erzählen lässt. Je mehr die Leserin / der Leser in die Geschichte taucht, desto mehr versteht er von diesem Stimmen. Den Stimmen, die das Leid der geschundenen, genitalverstümmelten Frauen in arabischen Ländern klagen. Den Stimmen, die von Unterdrückung der Frau reden, die von Armut und Ungemach niedergedrückt werden.

Dieser Kriminalroman spricht viele Themen an, Homosexualität in arabischen Ländern, Genitalverstümmelung, das Verhältnis von Mann und Frau, die schwierige Thematik der Religion und Tradition in Ägypten. Doch dies geschieht mit leichter Hand, mit viel Feingefühl, Reflektion und mit vielen mystischen Anwandlungen. Es ist ein schnell gelesenes Buch, das aber nachhaltig Eindruck macht.

Andrea Karimés broschiertes Taschenbuch ZUM STERBEN NACH KAIRO umfasst 170 Seiten, ist im Quer Verlag erschienen und für 12,90 im Fachhandel erhältlich.

 

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