Ruf mich bei deinem Namen von Andre Aciman

Manchmal wird man von einem Buch mit voller Wucht getroffen, man denkt: Oh Mann, wie konnte dieser Autor oder diese Autorin Gefühle mit solch einer Intensität und Authentizität beschreiben?! Man fühlt sich in Bezug auf seine eigenen Sprachfähigkeiten absolut unterbemittelt. Man beginnt sich aber auch zu fragen, ob man vielleicht weniger Tiefe in seinen Gefühlen besitzt als andere Menschen, als Figuren in einem Roman. So ein Buch ist das!

Möge dieser Sommer niemals enden… denkt sich die siebzehnjährige Hauptperson Elio. Völlig überraschend trifft ihn die erste große Liebe, die nicht eine Frau ist, sondern der Amerikaner Oliver, der sich für wenige Monate bei Elios Familie eingenistet hat, um an der schönen italienischen Riviera  an seinen Studien zu arbeiten. In diesem Sommer schwanken die beiden zwischen Verlangen und Verzweiflung hin und her. Sie suchen nach der absoluten Erfüllung, die ihnen leider nur für sehr kurze Zeit gewährt wird.

Wer in „Ruf mich bei deinem Namen“ einen gewöhnlichen Coming-Out-Roman wähnt, der ist bei diesem als Taschenbuch im DTV-Verlag erschienenen Buch auf der falschen Fährte. Wie in jedem guten Roman kommt es kaum auf das Thema an, kaum auf die Geschlechter der Figuren, einzig die Sprache, die gewählten Worte sind wichtig. Noch wichtiger als der Inhalt. Noch wichtiger als die Form. Die Sprache transportiert ein Gefühl, eine Atmosphäre. Die Sprache trägt einen Roman. Und sowohl André Aciman als auch die sehr gute Übersetzerin des Buches Renate Orth-Guttmann beherrschen die Sprache und werden nicht von ihr beherrscht.

„Aber ich war selig. Dass er unser Gespräch über Celan nicht vergessen hatte, gab mir Auftrieb wie schon seit vielen Tagen nicht mehr, und dieses Hochgefühl verbreitete sich auf alles, was ich anpackte. Nur ein Wort, ein Blick – und restlose Seligkeit. Vielleicht war es eben doch gar nicht so schwer, glücklich zu sein. Ich brauchte nur die Quelle des Glücks bei mir selbst zu suchen, statt es von anderen zu erwarten.“

„Ich bedachte nicht, dass mich, da ein Wort von ihm mich so beglückte, ein anderes mich ebenso leicht niederschmettern konnte, dass ich, wenn ich nicht unglücklich werden wollte, lernen musste, solch kleinen Freuden auch zu misstrauen.“

Sie sind sich beide sehr ähnlich, vor allem in ihrer Gelehrtheit und Bibliophilie, wobei der jüngere Elio den älteren Oliver dabei noch aussticht. Dafür ist letzterer weiter in seiner geistigen Entwicklung. Wie Katz und Maus scheinen sie miteinander zu spielen, doch in Wirklichkeit missverstehen sie sich. Was der eine als Zurückhaltung betrachtet, wertet der andere als Desinteresse. Was der eine als zweideutige Geste meint, versteht der andere nicht als solche. Und so spielen sie ihr vermeintliches Spiel eine Weile, so lange bis es Elio fast nicht mehr aushält. Der Klavierspielende Elio, der für Oliver alles spielen würde,

„…bis du sagst, ich soll aufhören, bis es Zeit zum Mittagessen ist, bis meine Finger bluten, weil ich so gern etwas tun möchte, weil ich alles für dich tun würde, sag nur ein Wort…“

 Auf dieses Wort wartet Elio, doch es kommt zunächst nicht. Anders als von seiner Nachbarin Marzia, mit der er eine Affäre anfängt, die auch nicht mit Beginn der körperlichen Beziehung zu Oliver endet.

„Ich dachte, du kannst es nicht leiden, habe ich gesagt und gemeint: Ich dachte, du kannst mich nicht leiden. Ich hoffte, du würdest mich vom Gegenteil überzeugen, und vorübergehend hast du das ja auch geschafft. Warum werde ich dir das morgen früh nicht mehr glauben?“

Es dauert seine Zeit, bis sie ihre Liebe zueinander entdecken, aber dann tun sie dies umso intensiver: Dann beginnt für sie ein Sommer tiefer Gefühle, in dem sie sich endlich aufeinander einlassen, sich einander körperlich hingeben und sich in ihrem jeweiligen Gegenüber auflösen und neu gründen, was durch den Satz symbolisiert wird:

„Ruf mich bei Deinem Namen, dann ruf ich Dich bei meinem.“

Selten gab es einen Roman, der eine aufkeimende Liebe so präzise und gleichzeitig so schön beschreibt. Ein absolutes Muss für jeden und jede, der oder die von der Liebe lesen möchte, die sich an scharfsinnigen Beobachtungen und tiefgründigen Reflektionen erfreut.

Der Roman Ruf mich bei deinem Namen“ von André Aciman umfasst 288 Seiten und ist im Juni 2010 im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen. Er ist im Fachhandel für 9,90 Euro erhältlich.

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Die Schwerelosigkeit der Flusspferde von Volker Surmann

Yannick Herbst, der Protagonist dieses Romans, ist Anfang Dreißig und ein nicht gerade erfolgreicher Stand-Up-Comedian, wie es Neu-Deutsch heißt. Er lebt in Berlin, der Stadt der Kreativen und Verrückten. Sein täglich Brot sind kleine Comedy-Veranstaltungen in provinziellen Kleinkunstvereinen. Zwischendurch versucht er sich erfolglos bei Castings für Fernsehproduktionen. Auch privat läuft es nicht eben gut, seinen Traummann hat er noch nicht gefunden. Doch dann begleitet Yannick seine Mitbewohnerin, die Fotografin ist, in den Zoo. Und dort verliebt er sich in den jungen Flusspferd-Pfleger Konrad, der nicht nur seine Fantasie beflügelt…

„Früher hieß es Komiker“, sagt seine Mutter, „aber da waren die Leute auch noch witzig.“

Genau dieser Satz macht diesen Roman zu einem guten Buch. Nicht mehr und nicht weniger. Heinz Erhardt fand ich lustig. Der hatte Wortwitz, Charme und Verve. Der frühe Otto Waalkes ebenso. Doch mit dieser Schwemme an Comedians in den letzten Jahren, die das Fernsehen und die deutschen Bühnen bevölkern, bekommt man einen Hass auf dieses Genre. Oder verdummt mit ihm gemeinsam. Wie Recht hat da Yannicks Mutter, die ihren Jungen bemitleidet und rät, sich etwas anderes für seinen Lebensunterhalt zu suchen. Yannick ist der geborene Loser. Was kann man auch anderes sein als Stand-Up-Comedian, der es noch nicht einmal in diese dämlichen Shows im Fernsehen schafft. Weil er zum Beispiel als Schwuler nicht tuntig genug ist und dem Klischee nicht entspricht. Weil er zu wenige Zoten von sich gibt. Weil er sich zu farblos und hetero-like anzieht.

Stand-Up-Comedy ist langweilig. Also muss ein Roman über Stand-Up-Comedy langweilig sein. Naja, nicht ganz. Nicht, wenn man Volker Surmann heißt. Nicht, wenn man weiß, wovon man spricht. Nicht, wenn man Humor hat, und sich gebührend über die ganzen Comedians, die sich im Fernsehen rumtreiben, lustig machen kann.

Volker Surmann lebt als Kabarettist und Comedian in Berlin. Er ist Autor für TV-Comedy, für die Siegessäule und die Titanic. Er weiß, wovon er spricht, wenn er über neurotische Comedy-Veranstalter, fiese Egomanen in der Show-Branche und die Not des noch-nicht-im-großen-Geschäft-Angekommenen schreibt.

Doch dieser Roman ist nicht nur Mediensatire und Berlin-Roman, sondern auch eine tragikomische Liebesgeschichte. Er erzählt von der Unfähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, von der eigenen Egomanie, von der Unfähigkeit, eine Beziehung auf normalem Weg einzugehen. Er erzählt von einer Art Beziehungsunfähigkeit, die es vielleicht immer schon gab, die aber aus verschiedenen Gründen heutzutage eine immer größere Rolle spielt. Eine Beziehungsunfähigkeit, die voll von übersteigertem Anspruchsdenken und zu großem Selbstbezogenheitsdenken ist.

Yannick Herbst geht zu einem Psychologen, zurecht. Diese Einschübe über seine Sitzungen machen den Roman besonders bissig, witzig und fantasievoll. Lustig sind die verschiedenen Varianten seines „letzten Auftritts“. Gelegentlich sind allerdings die Ausflüge in die Niederungen doch zu viel des Guten, doch es lohnt sich dranzubleiben und weiterzulesen.

Der Roman „Die Schwerelosigkeit der Flusspferde“ von Volker Surmann umfasst 224 Seiten und ist im Querverlag, Berlin, erschienen. Er ist im Fachhandel für 14,90 Euro erhältlich.

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Zwei Lieben von Rainer Vollath

 

Im Buchmesse Leipzig-Special im März stand uns ja Rainer Vollath Rede und Antwort zu seinem Roman „Zwei Lieben“. Nun folgt die Rezension dieses besonderen Werkes.

Der 28-jährige Fritz wird 1938 im Berliner Tiergarten von der Gestapo verhaftet und ins KZ nach Sachsenhausen, später nach Flossenbürg. Dort hilft ihm beim Überleben nur seine Liebe zu dem jungen Häftling Jan aus Warschau. Eine Beziehung, die nur dadurch möglich wird, dass Fritz von den Nazis zum Kapo gemacht wurde. Anders als in den Zwanziger-Jahren führt Fritz nach dem Krieg ein Doppelleben, weil er Angst vor Repressalien hat. Noch bis 1969 gilt der Paragraph 175, wird in diesem Jahr entschärft. Und erst zu diesem Zeitpunkt traut sich Fritz wieder aus dem „Closet“, er lernt schwule Männer kennen in einem Club und er versucht, eine Entschädigung für die im KZ erlittenen Qualen zu erhalten.

Rainer Vollath verquickt hier einerseits den Überlebenskampf im KZ und andererseits das Aufkeimen der Schwulenbewegung in der Berliner Nachkriegszeit. Die „Zwei Lieben“ sind der schon genannte Jan, den er nach 1945, als beide das KZ das Verlassen dürfen, und der Jüngere nach Polen zurückkehrt und eine Familie gründet. Und natürlich Will, den Fritz in dem neu gegründeten Club für Schwule kennen- und lieben lernt. Im reifen Alter wird es eine neue Erfahrung für ihn: die erste Beziehung zu einem Mann, ohne Angst vor Entdeckung, in alltäglicher Normalität.

Der Autor versteht es gut, die Gefühle und Gedanken, die Minderwertigkeitskomplexe eines nicht offen lebenden schwulen Mannes darzustellen, seine Gewissenskonflikte, seine Ängste, seinen Druck. Alles das führt dazu, dass er sich seinen Mitmenschen nicht äußern, niemals seine Gefühle ausleben kann. Er beschreibt minutiös die Bemühungen Fritzens diese Entschädigung zu erhalten. Dabei muss er mit der Einstellung der meisten Menschen kämpfen, die der Ansicht sind, dass Träger des Rosa Winkels nicht genauso gelitten haben wie z.B. die Schwulen. Dass dies nicht der Fall ist, beschreibt Rainer Vollath hier. Und er spart nichts aus, rein gar nichts. Er lässt keine Übeltat der Nazis im KZs aus, wie Häftlinge an einem Pfahl aufgehängt werden, wie sie malträtiert, gefoltert und auf übelste Weise erschossen oder später, als die Munition spärlicher wird, mit dem Revolverknauf erschlagen werden.

Es ist ein nötiges Buch, ein sehr nötiges Buch. Das erste überhaupt zu dieser Thematik. In den meisten Erzählungen über den Holocaust, selbst in Imre Kertész´ „Roman eines Schicksallosen“ sind schwule KZ-Häftlinge Nebenfiguren. Nur in dem Film „Bent“ bzw. in dem Dokumentarfilm „Paragraph 175“ kommen sie vor. Aber in keinem Buch. Daher muss man sich nicht nur bei Rainer Vollath, dem Autor, für dieses wichtige Werk danken, sondern auch dem Quer-Verlag, der den Mut hatte, so einen Roman zu veröffentlichen. Es war wichtig, und es ist wichtig, dass ihn möglichst viele Menschen lesen. Man kann vieles, auch viel Neues über die deutsche Geschichte aus Sicht der Homosexuellen lernen.

Rainer Vollaths Roman „Zwei Lieben“ ist ein genaues Buch, das seine Kenntnis der Geschichte bezeugen kann. Es ist ebenso ein sympathisches Buch, denn es lebt von seinen Figuren, vor allem von seiner Hauptfigur Fritz, mit der man mitfühlt und mitleidet, und der man ein Happy End wünscht.

Der empfehlenswerte Roman „Zwei Lieben“ von Rainer Vollath ist im März 2010 im Querverlag erschienen, umfasst 207 Seiten und ist für 14,90 Euro im Fachhandel erhältlich.

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Der Junge von nebenan von Martin Büsser

 

„Der Junge von nebenan“ von Martin Büsser wird genauso wie Punkrock Heartland von Andi Lirium „Graphic Novel“ genannt. Ich kenne mich zu wenig in dieser Thematik aus, doch ich würde dieses Büchlein eher „eine kleine Geschichte mit kleinen Skizzen“ betiteln. Ob mir diese entwurfartigen Bilder gefallen? Ich kann es nicht entscheiden. Die einzelnen Blätter des Buches sehen wie Notizzettel aus, mit handgeschriebenen Bemerkungen und kleinen Bildchen zur Verdeutlichung. Es ist einfacher, sich das Ganze als eine Dekoration in einem Arbeitszimmer eines intellektuellen Linken vorzustellen, der den großen Wurf landen möchte mit DEM Jahrhundertroman.

Doch das ist vermutlich zu ketzerisch, wenn man die Person Martin Büsser schon seit Längerem verfolgt. Bereits im letzten Jahr stellte ich an dieser Stelle die Zeitschrift Testcard vor, die er mit herausgibt und für die er auch Artikel produziert. Daneben schreibt er auch für die Sissy, die ich bei Radiosub auch schon vorgestellt habe, und natürlich ebenso für viele weitere Zeitschriften und Zeitungen des linken Spektrums wie die Jungle World, konkret und andere. Er kennt sich fabelhaft aus, was Postpunk, Anti-Folk, überhaupt jegliche neuen Musikstile der Gegenwart, aber auch der Vergangenheit angeht. In unseren Zusammenhängen fällt er aber vor allem durch detailgetreue Kenntnisse im queeren Cinema, Musik von schwulen und lesbischen Bands und dem soziokulturellen Hintergrund, den er darum aufbauen kann, auf.

Was macht er nun in diesem Büchlein? Nachdem er sonst eher als Journalist und Sachbuchautor in Erscheinung trat, hat er nun das erste Mal etwas geschrieben, was man Prosa nennen könnte. Doch Martin Büsser wäre nicht Martin Büsser, wenn er nicht essayistische Momente in dieses Werk gebracht hätte. Die Folie, die er ansetzt, ist die bundesdeutsche Geschichte der Siebziger bis Neunziger Jahre. Er versucht, linke Standpunkte, Mythologien und Bilder in seine zunächst einfache Geschichte einzuweben. In eine Geschichte, die eine Coming-of-Age-Erzählung ist, in der ein Junge niemals zum Mann wird, doch seine schwule Sexualität entdeckt und auslebt.

Die ganze Geschichte beginnt, als der Nachbar des Anti-Helden dieses Buches, übrigens der Metzgerssohn, sein bestes Stück auspackt und auf den Teppich uriniert. Danach ist das Kinderzimmer kein Kinderzimmer mehr. Das ist eine erste Erfahrung mit der gleichgeschlechtlichen Sexualität, auf die noch viele weitere folgen. Doch das Grundproblem ist, dass sich der junge Held nirgends dazugehörig fühlt. Seine Eltern sind RAF-Terroristen und kümmern sich nicht um ihn, sein Opa ist ein alter Nazi, was der Junge verdammt, vor allem als Linker. Und die Schwulen sind ihm zu tuntig, er möchte männliche Typen kennenlernen, Typen, die seine Musik mögen. Um der ganzen Ödnis zu entgehen, zieht er nach Berlin und lernt ganz neue Dinge kennen.

Sympathisch an dem Werk ist, dass es eine Geschichte des Geschichtenerzählens ist. Er spielt mit dieser Thematik, zieht sich bewusst auf eine Meta-Ebene, distanziert sich von seinem eigenen Text oder ironisiert das biografische Erzählen an sich. Durch seine absurden Übersteigerungen führt er seine eigene Geschichte ad absurdum und zeigt hiermit, dass jede Geschichte auch anders erzählt werden könnte.

Irritierend ist allerdings, dass ich nicht recht weiß, was ich von dem ganzen Werk halten soll. Die bundesdeutsche Geschichte der letzten zwanzig bis dreißig Jahre als Folie in einem 100seitigen Buch, noch dazu mit so wenig Text? Das kann doch nur in die Hose gehen. Martin Büsser ist nicht dumm und schon gar nicht ungebildet, er weiß viel, aber er muss sich begrenzen. Und gerade diese Begrenzung verstört. Viele Standpunkte, die er außer Acht lässt, lassen sich einfach nicht ausblenden, zumindest nicht, wenn man so viel vor hat wie er. Daher wirkt die Geschichte manchmal zu konstruiert und zu einfach. Anderseits erscheinen bei dieser Begrenztheit die zahlreichen Verweise auf berühmte Künstlerinnen und Künstler wie Jean Genet, Picasso, De Kooning, Virginia Woolf, Ronald M. Schernikau, Gertrude Stein, Allen Ginsberg eher überladen und eher angeberisch.

Gefällt mir „Der Junge von nebenan“? Ich kann es nicht abschließend sagen. Interessant war es, zum Nachdenken hat es mich gebracht, und vor allem es verstörte es mich. Das ist gut. Aber lest selbst: „Der Junge von nebenan“ von Martin Büsser ist im Verbrecher Verlag erschienen, umfasst genau 100 Seiten und ist für 14 Euro erhältlich.

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