SHARAYET – Eine Liebe in Teheran

Marcus Brieskorn konnte für RadioSUB diesen US-amerikanisch-iranisch-französischen Spielfilm von Maryam Keshavarz vorab sehen.

Der Film beginnt auf dem Schulhof einer Mädchenschule. Die Lehrerin prüft, ob alle da sind. Schon in dieser Einstellung wird gezeigt, wie nahe sich zwei der Schülerinnen stehen: Atafeh und Shirin. Sie stecken sich heimlich Botschaften zu. Die eine will für die andere sogar das Schulgeld bezahlen, damit sie nicht als unanständig gilt. Und da sind wir beim Thema dieses Spielfilms: Was ist „anständig“ in Teheran? 

 

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Im Namen des Kreuzes von Peter Probst

In der Spiegel Online gab es am 18.3.2012 einen Artikel über den katholischen Missbrauchsbeauftragten Stephan Ackermann. Obwohl er angeblich einer „Null-Toleranz-Linie“ in dieser Funktion verfolgt, schont er in seinem Bistum Trier sieben als pädophil aufgefallene Pfarrer. Einer von ihnen soll sexuelle Beziehungen zu einem Schüler gehabt haben, zwei weitere sind wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilt, sagen die Quellen von Spiegel Online. Die katholische Kirche scheint, so wird dies in dem Artikel angedeutet, eher daran interessiert zu sein, möglichst gut dazustehen. Der Schutz der Opfer und vor allem von potenziellen Opfern steht wohl nicht an oberster Stelle. Dabei ist die Gefahr, die von diesen Männern ausgeht, immens hoch. Mittlerweile sind einige Fälle von jahzehntelangem sexuellen und psychischen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in großen katholischen Institutionen bekannt geworden. Das Canisius Kolleg in Berlin oder die Odenwaldschule hier in Hessen sind da zu nennen, sie sind aber wohl nur die Spitze des Eisbergs.

Dieses Themas hat sich nun Peter Probst in seinem Roman „Im Namen des Kreuzes“ angenommen, der dritte Roman in der Privatermittler Schwarz-Serie. Nach dem tragischen Selbstmord des jungen Priesteramtskandidaten Matthias wird der katholische Pfarrer Heimeran erhängt aufgefunden. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen liegt nahe – aber welcher? Wie eng war die Beziehung zwischen dem gerade bei Jugendlichen beliebten Geistlichen und dem vaterlos aufgewachsenen Jungen? War Heimerans Tod womöglich gar kein Selbstmord? Widerstrebend nimmt Anton Schwarz Ermittlungen auf und gerät in einen Sumpf aus Machtmissbrauch, sexueller Gewalt und Vertuschung, der ihn auch an seine persönlichen Grenzen bringt.

 

Der Privatermittler Anton „Toni“ Schwarz ist ein sehr sympathischer Zeitgenosse. Immer ein bisschen am Granteln, ein Morgenmuffel, einer, der auch gerne einmal faul ist, sicherlich ein bisschen empfindlich und mit dem Verkehr und der ewigen Gentrifizierung in München hat er es auch nicht so. In den ersten zwei Teilen der Krimireihe wurde er damit konfrontiert, dass seine Mutter eine Jüdin ist, was er jahrzehntelang nicht wusste, aber vor allem wurde er auch von seiner geliebten Frau verlassen. Und in diesem dritten Teil muss er sich seiner Homophobie stellen, die einen tieferen Grund hat, wie wir später erfahren. Doch Eva Schwarz, die er bei seinem ersten Fall in „Blinde Flecken“ kennenlernte, die 25 Jahre jünger als er ist und außerdem im Rollstuhl sitzt, treibt ihn immer wieder an. So wird er mit einer Welt konfrontiert, die ihm nicht ganz geheuer ist. Und wie sich bald zeigt: völlig zu Recht nicht.

Es gibt viele homosexuelle Männer in der Kirche, das ist nicht nur ein Gerücht, sondern mittlerweile vielfach belegt und von offizieller Seite zugegeben. Wieso dies so ist, könnte man sich fragen: Weil die Kirche ein Männerbund ist vielleicht? Weil man in ihrem Schoß häufig Gelegenheiten bekommt, seine Sexualität geheim und unbeobachtet auszuleben? Weil das Zölibat einem die Möglichkeit gibt, einen bestimmten Schutzraum zu erhalten, weil keine Fragen über das Heiraten, eine Freundin oder überhaupt Sexualität aufkommen? Oder begünstigt dieses ständige Unter-Männer-sein die eigene Homosexualität? geht einem plötzlich ein Licht auf und es wird einem bewusst, dass man diese Gefühle hat, wenn man sich mit anderen austauscht? Der Pfarrer Heimeran war schwul, dieser Verdacht kommt Anton Schwarz ganz schnell, doch ist er auch pädophil? Hat er sich seines Zöglings Matthias auf diese Weise angenommen, ihn verführt? Und was hat der ebenfalls schwule Pastoralreferent Weber mit der ganzen Situation zu tun? Sehr bald verschieben sich die Rollen, vermeintliche Täter werden ganz schnell erkennbar zu Opfern in einer Geschichte, die sehr viel tragischere Hintergründe hat…

Der Autor Peter Probst geht mit seinen Figuren und den aufgeworfenen Themen sehr sensibel um. Nicht nur, dass er offensichtlich gut recherchiert und mit vielen Betroffenen geredet hat, er schafft es immer wieder die Kontrolle über den Stoff zu behalten. Kein leichtes Unterfangen, wenn man die Vermischung verschiedener Problematiken bedenkt. Da ist Homosexualität in der Kirche einerseits, Pädophilie und sexuelle Gewalterfahrung in einer Machthierarchie-Konstellation andererseits. Gerne wird dies ja in einen Topf geworfen. Da kann sich Peter Probst sehr gut abgrenzen. Seine Kriminalromane sind gesellschaftskritisch und brechen stets eine Lanze für mehr Zivilcourage. Seine Figuren sind charakterstark, mutig und man schließt sie sofort in sein Herz. Jahrelang hat er Drehbücher geschrieben, unter anderem zur Detektivserie „Der Fahnder“. Auch der Roman „Im Namen des Kreuzes“ bietet sich für eine spannende Verfilmung an. Seine Dialoge sind authentisch und spritzig, vor allem hat er ein sehr gutes Gespür für Stimmungen und Konflikte, die er sehr beredt in Szene setzt. Man fühlt mit den Personen mit, fiebert mit ihnen, wünscht ihnen, dass alles gut ausgeht. Mehr Emotion geht nicht in einem Roman.

 

Im Namen des Kreuzes von Peter Probst ist ein sehr spannender Roman über ein ebenso aktuelles wie hochsensibles Thema, welches im März 2012 beim Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist. Es umfasst 256 Seiten und ist für 8,95 Euro erhältlich.

 

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Ich, Adrian Mayfield von Floortje Zwigtman

Da ist ein hervorragendes Buch bisher an mir vorbeigegangen. Wie das passieren konnte? Ich weiß es einfach nicht. Aber lieber spät als nie! Oder? Dafür war der Spaßfaktor umso größer und der Suchtfaktor kann sogleich gestillt werden, denn während die Fans der ersten Minute auf die Fortsetzung warten mussten, habe ich die jetzt direkt vor mir… Wovon ich rede? Von „Ich, Adrian Mayfield“, dem wundervollen Jugendroman von Floortje Zwigtman, die in Belgien und Holland meiner Ansicht nach völlig zurecht der „weibliche Dickens“ genannt wurde und für diesen Roman mit der „Goldenen Eule” und dem „Goldenen Kuss” geehrt wurde.

 

Adrian Mayfield ist, wie der Name schon sagt, der Held der Geschichte, die damit beginnt, ihn in seiner Tätigkeit beim griechischen Schneider Procopius im Osten Londons zu zeigen. Gemeinsam mit seinen beiden jungen Kollegen, die mit ihm in einer Bude wohnen, arbeitet er dort fast Tag und Nacht. Und nur am Samstag Abend frönen sie dem Spaß. Eines Abends tun sie das zu ausgiebig und geraten in eine Prügelei und damit an die Polizei. Dies führt zur Kündigung und Adrian muss nun schauen, wie er zu Geld kommt. Die elterliche Kneipe war schon zuvor zugrunde gegangen, der Vater versucht sich über Theaterengagements irgendwie über Wasser zu halten, für zwei reicht es da nicht. So sucht Adrian Hilfe bei Trops, dem französischen Künstler, der noch zu Procopios´ Zeiten bei ihnen im Laden auftauchte und dem jungen Adrian die ersten Gefühlswirren bescherte. Trops wird sein Freund und eher unfreiwillig auch sein erster Geliebter. Trops bringt den Jungen in Verbindung mit dem Cafe Royal, dem Etablissement, in dem sich damals, Anfang des Jahrhunderts, auch Oscar Wilde, sein Geliebter Alfred Douglas und viele andere Künstler rumtrieben. Adrian wird Modell für Künstler, wie einst Dorian Gray, und letztendlich auch Stricher. Sein neuer bester Freund führt ihn nicht nur in diese Künstlerkreise ein, nicht nur in das „homosexuelle London“, sondern auch in die Literatur und Kultur. 

 

Ja, „Ich, Adrian Mayfield“ ist ein Jugendroman, doch auch wieder einer, der genauso von Erwachsenen gelesen werden kann. Einige Kritiker_innen mahnten sowieso an, dass man diese Thematik, also männliche Prostitution, nicht unbedingt in einen Jugendroman packen sollte. So seien außerdem manche Szenen fast schon pornografisch und nicht unbedingt für Jugendliche geeignet. Manche nannten es nicht moralisch genug für dieses Genre. Doch wie sagte Oscar Wilde in der Vorrede des „Dorian Gray“? „So etwas wie moralische oder unmoralische Bücher gibt es nicht. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben. Weiter nichts.“ 

 

Dieser Roman von Floortje Zwigtmann IST gut geschrieben, ganz zweifellos. Sie schafft es nicht nur, die Figuren in ihrer Tiefe zu zeichnen, in all ihren Verwerfungen, Verzweiflungen und Verfehlungen, sie schafft es auch, Sympathien für sie zu wecken, mitzufühlen und vor allem mit Adrian mitzufiebern. Einmal mit dem Buch angefangen, schafft man es kaum noch aus der Hand zu legen. Dieser Roman ist für alle, die sich für das viktorianische London interessieren, für alle Oscar Wilde-Fans, aber auch für alle die, die einfach ein spannendes und einfühlsames Buch schätzen. 

 

„Ich, Adrian Mayfield“ von Floortje Zwigtman ist 2009 beim Verlag Gerstenberg erschienen, wurde genial von Rolf Erdolf übersetzt, umfasst 512 Seiten und ist für 16,90 Euro im Fachhandel erhältlich. Die Fortsetzungen sind bereits erschienen und heißen „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ und „Adrian Mayfield – Auf Leben und Tod“.

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Ali und Ramazan von Perihan Magden

Vor einiger Zeit hatte ich hier an dieser Stelle das erste ins Deutsche übersetzte Buch von der Journalistin und Autorin Perihan Magden mit dem Namen „Zwei Mädchen. Istanbul story“ vorgestellt. Wir hatten damals die Autorin auch lange auf der Buchmesse in Frankfurt interviewt. Sie ist eine wirklich beeindruckende Frau, die soziale Missstände in der Türkei schonungslos ausfindig macht und deutlich kommentiert.

 

„Ali und Ramazan“ wurde im Jahr 2010 zum Buch des Jahres in der Türkei gewählt, es wird gerade verfilmt. Es geht um „Seite 3“-Jungs – die Seite 3 ist diejenige, auf der Verbrechen, Todesfälle usw. berichtet werden. Und im Jahre 1992 las nun die Autorin vom Tod eines jungen Prostituierten, von Ramazan. Sie recherchierte diesen Fall und schrieb ein halb dokumentarisches und halb literarisches Buch darüber.

 

Der wunderschöne Ramazan ist in einem Waisenhaus in Istanbul untergebracht. Er wird von allen bewundert, nicht alleine deswegen, weil er jeden beim Murmeln spielen besiegt, er ist der Anführer der Jungen im Waisenhaus. Dann kommt Ali, der Kurde, aus einem Bergdorf, niemand weiß, was mit ihm Schlimmes passiert ist, er ist groß, stark, ein Bär. Vom ersten Moment sind sich die beiden Jungen sympathisch, ziehen sich gegenseitig an. Ramazan, der vom Waisenhausdirektor geliebt und vor allem regelmäßig missbraucht wird, verliebt sich genauso in Ali wie umgekehrt. Als sie mit achtzehn Jahren aus dem Waisenhaus in eine ungewisse Zukunft entlassen werden, gibt ihnen nur diese Liebe Kraft. Doch nicht lange. Als sie den ersten freiheitlichen Liebestaumel hinter sich haben und den harten Alltag gemeinsam bewältigen müssen, beginnen sie zu verstehen: Es geht nicht ohne einander, aber auch nicht miteinander. Es ist eine sehr ambivalente Beziehung, die die beiden führen. Der jähzornige Stricher Ramazan und der hypersensible Ali, der bald den Drogen verfällt. 

 

Perihan Magden erzählt in diesem Roman eine sehr tragische, aber vor allem sehr wichtige Geschichte, die in den Achtzigern und Anfang der 90er Jahre spielt. Wichtig deswegen, weil sie Themen anspricht, die in die Öffentlichkeit müssen. Die verheerenden Zustände in den türkischen Waisenhäusern, die mangelhafte Bildung und damit katastrophalen Zukunftsaussichten der jungen Waisen zum Beispiel. Oder der Umgang mit Homosexualität in einer patriarchalen türkischen Gesellschaft. Sowohl Ali als auch Ramazan begreifen sich nicht als schwul, nur weil sie einander lieben. Bei Ramazan geht der Hass auf seine schwulen Freier, die er selbstverständlich fickt, sehr weit. Auch die Freunde des Waisenhausdirektors, ein offensichtlicher Kinderficker, greifen nicht ein, sie scheint das gar nicht zu stören, es wird nicht geahndet. Alle Freunde aus dem Waisenhaus erleben ähnliche Schicksale wie Ali und Ramazan, alle landen nach dem 18. Lebensjahr auf der Straße, schaffen es nicht, sich zu berappeln. Alles erscheint aussichtslos, ihr ganzes Leben ist verkorkst. Man weiß auch nicht, welche schlimmen Sachen Ali erlebt haben muss, die er nicht mal seiner großen Liebe Ramazan erzählt hat, sondern nur einer Psychologin. 

 

Es ist ein erschütternder Text, deprimierend vielleicht auch – und vor allem sehr sehr tragisch. 

Leider hat Perihan Magden, anders als bei „Zwei Mädchen. Eine Istanbul Story“ die Figuren nicht besonders gut im Griff, wahrscheinlich weil sie sie zu wenig kennt. Deswegen erscheinen sie etwas holzschnittartig und oberflächlich. Zudem scheinen ihr die sozialen Zustände, von denen sie erzählt, weitaus wichtiger als die literarischen Aspekte zu sein. Nur so lässt sich erklären, wieso ihre Dramaturgie so daneben geht. Weil sie sehr viele Dinge schon vorausschauend erzählt, bleibt wenig Spannung übrig, man denkt sich ja schon immer, was passieren wird. So geht der Lesespaß manchmal etwas verloren. Leider. Nichtsdestotrotz ist „Ali und Ramazan“ empfehlenswert, weil so viele missliche Zustände und so viele Vorurteile in so einer homophoben Kultur, in der Homosexualität ausschließlich im Verborgenen ausgelebt wird, beschrieben werden. Ich hoffe, dass sich diese „Zustände“ in der modernen Türkei etwas zum Vorteil verbessert haben. Sowohl die Waisenhäuser als auch die Bildung dieser Waisen, ihre Zukunftschancen und natürlich ebenso der Umgang mit Homosexuellen in der Gesellschaft.

 

Der Roman „Ali und Ramazan“ ist im November 2011 im Suhrkamp Verlag in Klappenbroschur erschienen, umfasst 191 Seiten und ist für 13,95 Euro im Fachhandel erhältlich.

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