In diesem Roman ist der Held Lars Hagner ein Hausmeister in einem Ostberliner Plattenbaugebiet. Jeder schätzt diesen Junggesellen, der so fleißig und harmlos erscheint. Völlig zurecht spürt Ljuba, die dreizehnjährige Tochter von Hagners Geliebten, dass da etwas nicht stimmt. Der ehemalige Soldat schließt sich seinem ehemaligen Zugführer Bossert an, den er wie einen Helden verehrt und vor dem er großen Respekt hat. Endlich hat er nun wieder einen Sinn im Leben, nachdem er wegen der Wende aus der Armee ausschied und erst einmal eine Weile lang den Westen Berlins und dessen Schwulenszene kennenlernte. Er lässt sich treiben, bis ihn Bossert aufgabelt und in den Dienst stellt. Hagner, der Preuße und Trotzkist ist, wird nun sein Handlanger und Vollstrecker. Monatelang muss er manchmal auf Befehle von Bossert warten. Wofür genau die beiden kämpfen, erfahren wir nicht: Der real existierende Sozialismus mag mit dem Ende der DDR dahingegangen sein, der Klassenkampf aber wird weitergeführt, so glaubt Hagner. Er tobt konspirativ und im Untergrund, mit aufrechten Genossen, die bereit sind, für ihre Überzeugung auch zu töten. Ob es dieses mysteriöse Partisanennetz tatsächlich gibt oder es lediglich eine Fantasie des Romanhelden Lars Hagner ist, bleibt für den Leser lange offen. Vielleicht sind dies alles auch nur kriminelle Machenschaften Bosserts. Der Held der Geschichte legt eine Art Rechenschaftsbericht über sein Tun ab, schonungslos, wortkarg. Letzten Endes bringt er sogar die Schnüfflerin Ljuba um, damit sie ihn nicht verraten kann.
Die Namensgebung „Die Eignung“ ist sehr tricky. Die verschiedenen Ebenen darf sich jeder Leser selbst erschließen. Am offensichtlichsten ist die, dass Hagner sich monatelang fragt, ob er weiterhin das Vertrauen Bosserts genießen darf. Als später offensichtlich wird, dass Leute auf seinen Führer angesetzt sind, und Hagner selbst nun diesen bespitzeln soll, glaubt er, dass er einen Fehler macht.
Bossert und Hagner haben keine sexuelle Beziehung, auch wenn manche der Soldatenkollegen so etwas vermuten. Hagner hat nach der Wende viele sexuelle Kontakte mit Männern, allerdings scheinen diese nur praktisch zu sein. Allerdings sind seine Beziehungen zu Frauen genauso distanziert und kühl. Vielleicht ist es also wirklich Liebe, die Hagner für Bossert fühlt. Der Opa von Hagner war auch schon schwul gewesen, wie er von einem seiner alten Freunde erfährt.
Dieser Text von Michael Sollorz ist sehr verstörend, ich habe kaum Zugang dazu finden können. Das könnte vielleicht daran liegen, dass ich aus dem Westen stamme und nicht diese Einblicke in den Osten habe. Daher verstehe ich vielleicht nicht die Mentalität des Helden dieser Geschichte. Aber es könnte andererseits auch daran liegen, dass ich Schwierigkeiten beim Dialog mit dem Erzähler habe. Denn es ist doch so bei Büchern: der Erzähler spricht mit dem Leser, wie das in einem Gespräch auch ist. Ob man das Gespräch genießt, liegt an ganz eigenen subjektiven Einstellungen. Mag ich den Ton, den der Erzähler anschlägt? Mag ich es, wie er bestimmte Sachverhalte miteinander verknüpft? Mag ich sein Tempo, seinen Witz, seinen Charme? Oder sagt mir das alles gar nichts? So ging es mir bei Sollorz nicht zum ersten Mal. Und doch merke ich als Rezensent, dass dieser Roman gelungen ist. Nicht umsonst wird er von Christoph Hein, einem angesehenen Schriftsteller, der aus dem Osten stammt, hoch gelobt: „brillant geschrieben“ lautet sein Urteil.
Wenn Menschen Informationen erhalten wollen, dann lesen sie oft Sachbücher. Aber oft kann auch ein Roman einem wertvolle Informationen, vor allem wenn es um menschliche Emotionen geht, bieten. In diesem Fall ist dies eine geeignete Lektüre für all diejenigen, die sich dafür interessieren, wieso die deutschen Bürger im Dritten Reich ihrem Führer folgten und grässliche Taten begingen. Hannah Arendt sprach von der „Banalität des Bösen“. Neue Forschungen widersprechen ihrer Sichtweise. Man musste Juden nicht auf grausame Weise umbringen. Häufiger als gedacht, hatten die Menschen die Wahl und entschieden sich, die Opfer auf immer wieder neue Art und Weise umzubringen, die fast schon kreativ zu nennen ist. Wie sich das erklären lässt? Sollorz könnte dies vermutlich. Zumindest macht dieser Roman den Anschein danach. Die Initialzündung zu diesem Roman lieferten ihm übrigens eigene Tagbuchaufzeichnungen aus der Zeit seines Grundwehrdienstes Anfang der achtziger Jahre, den er bei der Bereitschaftspolizei am Rande Berlins abgeleistet hatte. Er habe damals trotz der Geheimhaltungsordnung versteckt Tagebuch geführt. Erst zwanzig Jahre später habe er die vielen Heftchen wieder hervorgeholt und gelesen.
Gleich im ersten Heft fand er die Beschreibung, die zum entscheidenden Ausgangspunkt seines Romans wurde: Bei einem nächtlichen Einsatz war Sollorz Zeuge bei der Suche nach russischen Fahnenflüchtigen.
Den Roman „Die Eignung“ von Michael Sollorz wurde 2008 vom Männerschwarm-Verlag herausgegeben, umfasst 158 Seiten und ist in einer gebundenen Ausgabe für 16,90 Euro zu beziehen.