In „Piratenherz“ von Michael Sollorz versammelt der Autor neun kleine Erzählungen, die es in sich haben. Auf 136 schmalen Seiten beschreibt er Sehnsüchte von Männern in West und vor allem Ost, um die Mauerzeiten herum und auch danach. Die Abgründe interessieren diesen krassen Autoren, bei dem es in Lesungen durchaus vorkommen kann, dass Zuhörer das Feld räumen, weil sie die Wortwahl und die Bilder des Autoren nicht ertragen können. So in der Geschichte „Der Amerikaner“, die Dennis Cooper gewidmet ist. In dieser beschreibt er eine Welt, in der sexuelle Phantasien ausgelebt werden, die durch das Internet initiiert werden. Er scheut dabei nicht vor S/M und blutigen Details zurück… Wie sehr diese neuen Technologien in die Lebensführung, aber auch in die Art, wie Beziehungen geführt werden, eingedrungen sind, schildert er, ohne zu werten und ohne großes Tamtam auch in der Geschichte „Tsunami“. Es ist eine andere Welt, aber eine Welt, in der so mancher von uns lebt…
Geradezu gruselig sind die beiden mittleren Erzählungen „Aufenthalt“, in der Sollorz von einem unheimlichen Aufenthalt in einer Schwulensauna erzählt, und „Bollenhagen“, die er Mario Wirz widmet. Wenn ein Autor fast ausschließlich in so genannten Schwulenverlagen veröffentlicht wird, dann wird er oft nicht wirklich ernst genommen. Doch diese beiden Erzählungen haben durchaus etwas von Michael Ende, Daniel Kehlmann und Franz Kafka.
„Aufenthalt“ zum Beispiel erinnert sehr an eine Erzählung von Michael Ende, in der eine Person nicht mehr aus einem Dorf, das wie ein Labyrinth aufgebaut ist, herauskommen kann. Diese Person trifft Freunde und Bekannte auch nur zufällig, er hat keine Möglichkeit, sie gezielt zu treffen, weil sich Treppen, Zugänge usw. willkürlich verändern und nur durch Zufall irgendwohin führen, wo man Leute treffen kann. So hat man dementsprechend auch keine Möglichkeiten, sich zusammenzutun und aufzubegehren. Gleichzeitig erinnert „Aufenthalt“ aber auch an Kafka, in der Unmöglichkeit zu wissen, wie man das verdient hat, was man erlebt, und in der Unmöglichkeit zu erfahren, wie man aus der ganzen geglaubt unverschuldeten Situation herauszukommen.
„Bollenhagen“ erinnert wiederum an eine Erzählung aus Kehlmanns „Ruhm“, in der ein Künstler plötzlich einen Doppelgänger hat, der ihn in seinem Leben ersetzt, und am Ende weiß man nicht mehr, wer der Doppelgänger und wer das Original ist. So ähnlich ergeht es einem Autoren in „Bollenhagen“, das wirklich sehr gruselig und sehr nachdenklich machend ist.
Sollorz kann, wie bereits erwähnt, schwule Sehnsüchte meisterhaft darstellen. In der ersten Geschichte „Quälgeist“ ist es ein hübscher Jüngling, der den älteren Ich-Erzähler in der auseinander brechenden DDR am Schreiben hindert. Spannend beschreibt er hier das Sich Nähern der beiden Figuren, ihre Ängste, ihre Fantasien, und die plötzliche Trennung…
„Piratenherz“ von Michael Sollorz ist im Männerschwarm Verlag erschienen. Es umfasst 136 Seiten und ist für 14 Euro im Fachhandel erhältlich.