Selbstverständlich schwul! von Manuel Sandrino

 

Die Hauptrolle im Roman „Selbstverständlich schwul!“ vom Schweizer Autoren Manuel Sandrino spielt Timmy. Er ist ein schüchterner, verklemmter, junger Mann, gerade 20 geworden, und hat von seinen Eltern einen Auslandsaufenthalt geschenkt bekommen. Sie wünschen sich, dass er nach Sydney zur Oma fliegt. Er allerdings kriegt von einem Berner Freund den Rat, nach San Francisco zu reisen, um sechs Wochen lang, einen Sprachkurs zu besuchen. Doch weniger um seine bereits gut ausgeprägten Englischkenntnisse aufzubessern, als vielmehr nicht mehr ganz so verklemmt zu sein. Er möchte zu einer Schule, die mit dem Motto „Selbstverständlich schwul!“ wirbt. Dort entdeckt er nicht nur das Geheimnis der Erotik, sondern vor allem einen ganz neuen Sinn des Lebens.

Schon am ersten Tag erkennt Timmy an der neuen Schule, dass seine Hemmungen nichts weiter als Ängste vor seinen eigenen Stärken sind. Peinlicher als das Hasenkostüm bei seiner ersten Lektion in der Theaterklasse könnte nichts mehr werden, denkt Timmy. Doch damit beginnen erst die nackten und schamlosen Abenteuer in diesem Roman. Er wird nicht nur zum Lehrobjekt im Geschichtsunterricht, sondern auch beim Tantra-Seminar. Timmy stolpert naiv in die eine oder andere haarsträubende Situation. Er wird dabei ständig gefilmt. Zum Beispiel, wenn er sich die Schamhaare bei einem normalen Frisör vor Publikum abrasieren lässt. Oder wie er nackt mit einem Kollegen aus der Sprachschule Autos wäscht und am Ende sogar wilden Sex auf der Motorhaube hat. Timmy wird nach einem Auftritt bei einer Schwulen-Olympiade zum Symbol einer neuen Bewegung hochstilisiert. Viele Konservative sehen in ihm den Zerfall der bürgerlichen Moral. Er soll entführt und gar umgebracht werden.

Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die Reise eines Helden, der nackt sich selbst und der Welt begegnet.

Dies steht auf der Rückseite des Buches. Der geneigte Zuhörer kann sich an dieser Stelle gerne zurücklehnen und einen Eindruck gewinnen, wie sich das dann anhört:

Das Publikum ruft und brüllt, doch ich kann nichts verstehen. Tanze!, höre ich in einer fremden Sprache, die ich nicht zuordnen kann, aber meine Muttersprache ist. Das Licht um mich verdichtet sich. Vor mir im Kreis sitzen halbnackte Männer. Als Manifestation des Fruchtbarkeitsgottes musst du den Boden fruchten. Ich kenne das Ritual. Dass ausgerechnet ich in diesem Frühling dafür auserwählt wurde, wundert mich. Dies ist die Probe und der letzte Test. Die Männer gehören zu meinem Stamm. Stolz werfe ich meinen Kopf in den Nacken und blähe meine Brust, während mein Szepter anschwillt. Ich darf es nicht berühren. Es muss von sich aus sprudeln, so will es das Ritual. Nur so wird die Erde fruchtbar und die Ernte reich. Dann spüre ich es. Alles Leben ruht in meinem Samen. Unmanifestiert wartet es darauf zu begatten, zu keimen und zu segnen.

Timmy ist natürlich wunderschön, er ist nicht nur zwanzig, sondern auch 195 cm groß, durchtrainiert, hat das schönste männliche Geschlechtsteil auf Erden undsoweiter.

Doch weiter im Text:

Mit Augenbinden, einer Klammer auf der Nase, einen weiten Umhang und Stiefeln betreten wir den Garten. Der Umhang hindert die Luft, mich zu berühren und die Stiefel, um mit den nackten Füßen wahrzunehmen. Ich fühle nichts. Ich rieche nichts. Ich sehe nichts. Er Wind ist das Erste, was ich höre: sein Streifen durch die Büsche und die Baumwipfel. Höre mein Blut in den Ohren und durch meine Venen und Arterien fließen. Ich höre Sören atmen. Er isst den Wind, nimmt ihn auf und lässt ihn wieder frei. Das Zirpen einer Grille erfüllt mein ganzes Sein. Ein Vogel ruft seine Vogelfreunde. Wer bin ich? Ein Vogelbruder? Ein Gefäß für den Wind? Auch Sören ist nach der Übung seltsam still. Auch er ist von der Erfahrung berührt und scheint etwas weiser geworden.

Ach, ich will dem geneigten Leser nicht weitere Textproben ersparen:

Ich schleudere meine Schuhe fort, kaum dass ich den Rasen im Motelgarten betrete. Lasslo erkennt mich und winkt mir zu. Ziehe mir mein Shirt über den Kopf und knöpfe meine Hose auf. Ich will die Welt spüren. Der Wind soll mich liebkosen. Ich will ihn atmen. Lasslo steht auf und kommt auf mich zu. Ich lasse meine Boxershorts fallen. „Jetzt erst erkenne ich dich!“, sieht er mich wie verwandelt an. „Du bist doch der Junge aus dem Fernsehen?“, starrt er auf die Stelle, wo kein Härchen sprießt.

Denn Timmy ist so gut wie im ganzen Roman nackt. Und die Hälfte dieser Zeit steht sein kleines, großes Kerlchen. Nun ja.

Aus diesen Textbeispielen kann man einiges folgern. Zunächst: Wer Kitsch nicht mag, sollte dieses Buch nicht lesen. Das ist ein Buch, das garantiert zu lang und ausschweifend ist. Eher für Menschen, die auch noch die Pointe eines Witzes genauestens erklärt haben möchten. Leerstellen gibt es in diesem Roman nicht. Aber das ist ja in Ordnung. Jedem das Seine, und wen diese Zeilen noch nicht abgeschreckt haben… der kann das Buch gerne lesen. Abschrecken darf  einen aber dann auch nicht, dass das Personalpronomen ICH in den meisten Fällen ausgespart wird. Man darf sich auch nicht daran stören, dass nach wörtlicher Rede grundsätzlich falsch fortgefahren wird. Es sollte auch nicht für schlimm befunden werden, dass es praktisch keine Lektoratsarbeit gab an diesem Buch. Da werden Buchstaben vergessen, falsche Grammatik und Rechtschreibung lässt sich auf jeder Seite finden. Scheint aber dem Himmelsstürmer auch nicht allzu wichtig zu sein. So lange genug Sex vorkommt, ist doch alles in Ordnung. Wer stört sich schon an solchen Kleinigkeiten. Wen interessiert die präzise Verwendung der deutschen Sprache? Und wen interessiert die Glaubwürdigkeit des Inhalts? Ist doch nur ein Roman, oder?

Denn realistisch ist so gut wie gar nichts in diesem so genannten Abenteuerroman. Timmy verdient ungefähr den Gegenwert eines wunderschönen Wagens auf seinen unzähligen Strips, Sex-Foto-Sessions und Sex-Streifen, an denen er beteiligt ist. Auch dass ein Bürgermeister im San Francisco der Achtziger Jahre Timmy für seine Nacktheit bewundern soll, und alles tut, um ihn zu schützen, ist etwas unglaubwürdig. Zehn Männer wochenlang auf Timmys Fährte setzen? Sich mit ihm brüsten wollen, um bei den Wählern anzukommen? Nun ja.

Aber gut. Jeder sollte sich selbst ein Bild von diesem Roman machen. Manches daran ist durchaus sympathisch, manches ist unfreiwillig komisch, manches ist für jeden anderen außer mir erotisch.

Der Roman „Selbstverständlich schwul!“ von Manuel Sandrino umfasst, 372 Seiten, ist im Himmelsstürmer Verlag erschienen, und für 16,90 Euro im Fachhandel erhältlich.

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