So finster die Nacht von John Ajvide Lindqvist

 

2008. Es ist der Sonntag des Museumsuferfestes. Ich sitze im Kino. Niemand von meinen Freunden wollte mit. Lieber auf die Regenbogen-Area… SO FINSTER DIE NACHT von Regisseur Thomas Alfredson läuft. Ein Wohlgefühl breitet sich in mir aus. Was ein fantastischer Film. Meine Freunde haben etwas verpasst…

Alle sagen: Ach, die Bücher sind doch immer besser als die Verfilmungen. Es ist ein Allgemeinplatz. Doch er enthält einen Widerspruch in sich. Man vergleicht ja auch nicht  Äpfel mit Birnen und sagt hinterher: Der Granny Smith schmeckt mir aber besser als die Pastorenbirne. Lese ich den HARRY POTTER zum ersten Mal habe ich bestimmte Verknüpfungen im Hirn, Bilder, die entstehen. Kein Regisseur dieser Welt kann diese Bilder in einen Film bannen. Natürlich reicht der Film nicht an unser ureigenes Kopfkino heran. Und natürlich sind Buch und Film einfach zu verschiedene Medien mit unterschiedlichen Möglichkeiten und Begrenzungen.

Bei SO FINSTER DIE NACHT kann man entdecken, dass man sowohl den Film als auch den Roman grandios finden kann. Aber aus unterschiedlichen Gründen.

Doch worum geht es in dieser Geschichte?

Der zwölfjährige Oskar wohnt in Blackeberg, einer Satellitenstadt kurz vor Stockholm. Er ist ein Außenseiter und wird in der Schule von seinen Mitschülern drangsaliert. Im Plattenbau wohnt neben ihm ein reichlich merkwürdiges Mädchen namens Eli. Oskar trifft Eli nur abends auf dem Spielplatz. Das kindlich aussehende Mädchen ist immer dünn angezogen und riecht muffig. Merkwürdig ist auch, dass die Fenster in ihrer Wohnung verhangen sind. Oskar interessiert sich sehr für blutrünstige Morde und sammelt Zeitungsartikel, die er in ein Album abheftet. Doch er ahnt nicht, dass Hakan, der vermeintliche Vater von Eli eine Hauptperson dieser Berichte ist. Eli ist eine Vampirin und braucht frisches Blut. Als Hakan beim Morden erwischt wird, schüttet er sich ätzende Säure ins Gesicht, um nicht mit Eli in Verbindung gebracht werden zu können. Und nun beginnt der spannende Teil der Geschichte.

Bereits der Film besticht durch seine Ungewöhnlichkeit. Er ist eine absurde Mischung eines Astrid Lindgren-Stoffs mit einem reinrassigen Horrorfilm. Um es cineastischer auszudrücken: Er verbindet zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Genres, den Vampir- und den Coming of Age-Film. Thomas Alfredson schafft es auf faszinierende Weise die spröde, winterliche Atmosphäre des Vorortes Blackeberg mit all seinen sozialen Verwerfungen abzubilden. Der Film ist eher eine Milieu-Studie, ohne jedoch die Horror-Komponenten außer Acht zu lassen. Spannung wechselt sich mit Romantik und Dramatik ab.

Auch Lindqvist ist in seiner Vorlage eine spannende Mischung gelungen. Einerseits schafft er es Elemente eines Kriminalromans mit Elementen aus Bildungsromanen und Sozialstudien zu vermischen. Spannend ist daran, dass der Gedanke dieser Vermischung von Vampir-Legende und jugendlichen Außenseitern gar nicht so fern liegt. Liegt ihnen doch beiden die Erforschung der eigenen Identität und das Anderssein zugrunde.

Anderssein. So kommen wir zum großen Unterschied der beiden Medien. Um den Film nicht noch komplexer zu gestalten verzichtet Alfredson im Film weitestgehend auf der homosexuellen Komponente der Geschichte. Nur sehr subtil wird auch im Film klar, dass Eli nicht unbedingt eine genuin weibliche Geschlechtsidentität besitzt. Eli ist nicht etwa die Abkürzung für Elisabeth oder Eliane, sondern für Elias. So dass nicht nur die Frage nach der gleichgeschlechtlichen Ausrichtung der „Liebesbeziehung“ von Oskar und Eli gestellt werden kann.

Nein, im Roman wird das sehr viel deutlicher. Hakan ist nicht der Vater. Er ist in Elias verliebt. Der ehemalige Lehrer musste wegen seiner pädophilen Neigungen sein früheres Leben aufgeben. Er wird für Eli zum Mörder. Er geht sogar weiter: Er verstümmelt sich für diese Liebe selbst. Wird aber dann zum Monster, das aufgehalten werden muss. Hakan mordet nur Jungs, denen er im Wald auflauert oder auch im Schwimmbad. Lindqvist schafft es in diesen Szenen nicht nur, das grausige Töten klar und präzise auszudrücken, sondern auch die perverse Lust, die sie dem Mörder  bereitet.

Eine weitere Stärke des Romans sind die Dialoge. Gerade da, wo es um das Erwachsenwerden geht, schreibt Lindqvist mit beeindruckender Sensibilität und bar jeden Kitsches. SO FINSTER DIE NACHT macht auf weitere Bücher von Lindqvist Lust.

John Ajvide Lindqvists Roman umfasst 648 höchst spannende und abwechslungsreiche Seiten und ist im Bastei Lübbe Verlag erschienen. Die mit Bildern aus dem Film ausgestattete Taschenbuch-Version aus dem Jahr 2008 ist für knapp 10 Euro im Fachhandel erhältlich.

Beim Film bestechen neben den wundervollen Aufnahmen Thomas Alfredsons die beiden Hauptdarsteller Kare Hedebrant und Lina Leandersson. Beide füllen ihre Rollen meisterlich aus. Lina Leanderssn schafft es, die Vampir-Figur sehr zurückgenommen zu spielen, und dabei sowohl selbstbewusst, als auch zerbrechlich und schüchtern zu erscheinen. SO FINSTER DIE NACHT heißt im Original „Låt den rätte komma“ und auf Englisch „Let the right one come in“. Was auf einen bestimmten Vampir-Mythos verweist. Die DVD ist seit Mai 2009 ebenfalls im Fachhandel erhältlich.

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