The Graffiti Artist von Jimmy Bolton

 

Nick zieht nachts durch Portland, um Bushaltestellen, Häuserwände und Eisenbahnwaggons mit seinen Tags und Graffitis zu besprühen. Auf einem seiner Streifzüge begegnet er Jesse, von dem er sofort fasziniert ist. Zwischen den Sprayern entwickelt sich eine kurze, konfliktgeladene Freundschaft, die an den unterschiedlichen Erwartungen der beiden zerbricht. „Graffiti Artist“ ist das eindringliche Portrait eines jungen Mannes, der sich bewusst aus der Mainstream-Gesellschaft ausklinkt.

Nick ist ein schweigsamer Einzelgänger. Er wirkt immer leicht verschlafen. Mit seinem verschämten Blick der grünbraunen Augen und der geduckten Körpersprache erinnert der ihn verkörpernde Laiendarsteller Ruben Bansie-Snellman an einen schon mehrmals verprügelten Hund. Einerseits bewegt er sich möglichst unauffällig, macht sich klein, umgeht die um ihn herum aufgestellten Verbotsschilder. Doch dann aus dem Nichts befreit er sich aus dieser Haltung und geriert sich als großer Revoluzzer, der gegen das „System“ aufbegehrt. Sobald er sich unbeobachtet wähnt, besprüht er Eisenbahnwaggons, taggt sein Zeichen „Rupture“ an Hinterhofmauern und Bushaltestellen.

Die Spraydosen dazu klaut er genauso, wie die täglichen Lebensmittel, die er zu sich nimmt. Er ist ein wahrer Desperado, der niemanden braucht, der Künstler durch und durch ist. Dies verdeutlicht auch die spätere Szene mit Jesse, in der dieser vorschlägt, Nick könne ja seine Skizzenmappe und seine Fotoalben mit den Graffitis an Zeitschriften oder Galerien schicken. Nein, das möchte er nicht. Darum geht es nicht. Er möchte das „System“ brechen, bevor es ihn kaputt macht. Dass dies illusorisch ist, das zeigt sich bald. Er ist der typische jugendliche Größenwahnsinnige, der dafür die Quittung bekommt. In den USA wird das Sprayen mittlerweile mit drakonischen Strafen geahndet. Es wird mehr kontrolliert als früher. Und so wird auch er von Polizisten aufgegriffen, als er gerade bei seinem künstlerischen Werken ist. Ein Haftbefehl wird in Portland verhängt und er flüchtet daraufhin nach Seattle.

Die ersten zwanzig Minuten kommen praktisch ohne Worte aus. Man sieht interessante filmische Aufnahmen im Dogma-Stil. Jimmy Bolton hatte das Ziel, seinen jugendlichen Helden genau in den Blick zu nehmen, ihn genau zu betrachten, ohne allerdings aufdringlich zu sein. Nick ist in seiner Beharrlichkeit, Konzentration und Konsequenz ein bewundernswerter Zeitgenosse. Er lebt für die Kunst und ist von deren Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit überzeugt. Ein Jugendlicher, der sein Programm so konsequent durchzieht, ist in der Realität sehr selten, vielleicht sogar unauffindbar. Umso wichtiger, dass er in diesem Film, präsentiert wird. Nicht als Vorbild in all seinen Facetten, aber als Möglichkeit. Es ist eine große Leistung Boltons, dass er es schafft, dieses monotone und einsilbige Leben darzustellen, ohne einzubrechen und in Hollywood-Manier Action-Szenen einzubauen.

Aber die noch größere Anerkennung bei diesen „sprachlosen“ Szenen gebührt Kid Loco, der diese mit einem ganz ungewöhnlichen, wundervollen Klangteppich untermalt. Kid Loco aka Jean-Yver Prieur ist eine Ikone der französischen House- und Popszene. Er ist quasi in die Hall of Fame der elektronischen Musik aufgenommen worden, als auch er ein DJ Kicks-Album veröffentlichen durfte. Seine mit Sitar und anderen ungewöhnlichen Instrumenten geschwängerten, meditativen Klänge wiederholen sich in einer scheinbaren Endlosschleife und verleihen dem Film diese unbeschreibliche Atmosphäre.

Genauso wie bei Cam Archers „Wild Tigers I have Known“, der in unserer letzten Januar-Ausgabe vorgestellt wurde, muss auch hier der Name Gus van Sant genannt werden. Der mit „My Private Idaho“ berühmt gewordene Regisseur ist das Vorbild und der Lehrer von Jimmy Bolton. So wie van Sant den Puls der 90er Jahre im Nordwesten Amerikas darstellte, tut dies nun sein Nachfolger Jimmy Bolton. Er macht kein Sozialdrama daraus. Eltern von Nick tauchen nicht auf, denn für den Film haben sie keine Bedeutung. Er wohnt alleine in einem kleinen Raum.

An einer Skateboard-Rampe in Portland lernt er Jesse kennen und ist sogleich fasziniert von ihm. Sie treffen sich in Seattle wieder und fortan verbringen sie viel Zeit miteinander. Jesse, der von einem Laiendarsteller mit dem wundervollen Namen Pepper Fayans, gespielt wird, kauft ihm ein neues Skateboard, nachdem Nick das letzte bei der Festnahme durch die Polizei verloren hatte. Jesse lässt ihn bei sich wohnen, bezahlt Essen und Trinken. Irgendwann teilen sie sogar das Bett. Doch dann kommt es zum Bruch.

Es geht also in diesem Film auch um die Suche nach sexueller Identität, also ein weiterer Vertreter der Coming-of-Age-Filme in diesem Genre. Auch hier also vergleichbar mit „Wild Tigers I have Known“. Auch hier steht ein jugendlicher Held im Mittelpunkt, der gerne ein Einzelgänger ist. Der dann einen anderen Jungen kennenlernt, der ihn fesselt, mit dem er eine enge Beziehung aufbauen möchte. Das Problem ist allerdings, dass manche Dinge nicht miteinander vereinbar sind. Liebe oder Verliebtsein sind oft nicht genug. Es gibt schwierige Hindernisse zu überwinden. Und so mancher ist nicht dazu in der Lage. Nick ist wieder auf sich alleine geworfen. Und was soll er tun? Sprayen, sprayen, sprayen.

„The Graffiti Artist“ ist Independent-Kino der ruhigen, unprätentiösen Art. Unbedingt sehenswert! Er ist bei der Edition Salzgeber zu beziehen. Ebenso auch im Fachhandel, entweder online oder in gut sortierten Läden mit DVD-Abteilung.

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