TANZTRÄUME – JUGENDLICHE TANZEN KONTAKTHOF VON PINA BAUSCH

 

Die grandiose Tänzerin und fabelhafte Choreografin Pina Bausch verstarb am 30. Juni 2009 unerwartet. Eine große Künstlerin ist damit von uns gegangen. Tagelang waren die Feuilletons der wichtigsten Zeitungen gefüllt mit biografischen Artikeln und großen Lobeshymnen auf ihr künstlerisches Werk. Mit TANZTRÄUME – JUGENDLICHE TANZEN KONTAKTHOF VON PINA BAUSCH können wir nun ab dem 18. März im Kino ihr Vermächtnis bestaunen.

Wieso Vermächtnis? Das Stück KONTAKTHOF wurde bereits 1978 in Wuppertal uraufgeführt.

„Kontakthof ist ein Ort, an dem man sich trifft, um Kontakt zu suchen. Sich zeigen, sich verwehren. Mit Ängsten. Mit Sehnsüchten. Enttäuschungen, Verzweiflungen. Erste Erfahrungen. Erste Versuche. Zärtlichkeiten und was daraus entstehen kann.“

Das sagte die Künstlerin selbst über das Stück, das sie 1999 noch einmal aufführte. Diesmal als Projekt mit einer ganz besonderen Gruppe von Menschen: Mit Tanzamateuren im Seniorenalter. Es hieß dann KONTAKTHOF. MIT DAMEN UND HERREN ÜBER ´65. Es wurde ein Riesenerfolg. 2008, dreißig Jahre nach der Uraufführung dann entschloss sie sich, das gleiche Stück mit Jugendlichen aufzuführen. KONTAKTHOF. MIT TEENAGERN AB ´14 vereinigte 46 Jugendliche zwischen vierzehn und siebzehn Jahren von zwölf Schulen Wuppertals. Die Schülerinnen und Schülern waren nicht nur unterschiedlichen Alters, sondern aus unterschiedlichen Schultypen, Schichten und Kulturen zusammengewürfelt.

Was ist das Spannende an diesem Projekt? In diesem Stück geht es um erste Berührungen, Suche nach Zärtlichkeit, Zweifel, Verletzungen, Einsamkeit und um das Verhältnis von Mann und Frau. Während die Seniorinnen und Senioren mit sehr viel Lebenserfahrung aufwarteten, mussten nun junge Menschen sich mit diesen schwierigen Themen auseinandersetzen, die noch teilweise sehr wenig Menschenkenntnis und Erfahrungen haben. Ein diffiziles Thema. Ein pädagogisches Thema, das nicht nur von Pina Bausch, sondern vor allem den beiden ehemaligen Bausch-Tänzerinnen Jo Ann Endicot und Bénédicte Billiet sehr viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Tänzerinnen und Tänzern abnötigte.

Fingerspitzengefühl mussten auch der Kameramann Rainer Hoffmann und die Regisseurin Anne Linsel aufbringen, als sie fast ein Jahr lang die Proben und die Aufführung filmisch begleiteten. Anne Linsel, die auch das Drehbuch zum Film schrieb, bewies dabei sehr viel Sensibilität und Zurückhaltung. Solche Themen, die im Privatfernsehen oft reißerisch gezeigt werden, wurden hier mit leisen Stimmen und viel Respekt den Jugendlichen gegenüber aufgenommen. Immer wieder werden kleine Gespräche mit einzelnen Jugendlichen, die in deren Privatleben gefilmt wurden, einbezogen. Gespräche, in denen es um die ersten Erfahrungen mit dem Stück ging, aber auch die vom Umfeld der Jugendlichen handelten, die nicht immer ein leichtes Leben hatten.

Intensiv, aber doch wieder mit dieser sensiblen Zurückhaltung, wurden die Proben zu den Knackpunkten des Stückes gefilmt. In der Szene „Männer an Mädchen“ sollte ein trauriges Mädchen getröstet werden. Zuerst von einem Jungen, der sie vorsichtig streichelt, ein anderer, der sie kurz berührt, bis dann jeder der dreizehn Jungen sie anfasst, überall und immer heftiger. Zartheit wird wilde Aggression. Die Jungen taten sich hier schwer, zwischen Rolle und Realität zu unterscheiden und so entschuldigte sich jeder rührend bei dem „traurigen Mädchen“ mit Worten wie „Wir meinen das nicht so, wir wollen dir nicht weh tun“. Oder in der Szene als zwei Jugendliche, ein Junge und ein Mädchen, sich jeweils bis auf die Unterhose ausziehen sollen, verführerisch, flirtend, langsam. Nie werden die Jugendlichen vorgeführt. Immer bleibt der Respekt erhalten. Auch hier war dies der Fall.

Besonders gelungen ist die Auswahl der Szenen aus dieser Fülle an Material. Es wird nie langweilig, bleibt immer spannend, man fiebert mit den Jugendlichen mit, man wird in dieses Tanzprojekt hineingesogen.

Veröffentlicht in Film